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Grizzly Man

Grizzly Man

Ein Film von Werner Herzog

Mit Grizzly Man erzählt der vor allem in den Vereinigten Staaten prominente und aus München stammende Autorenfilmer Werner Herzog die Geschichte des Grenzgängers Timothy Treadwell, fanatischer Ökokrieger und Gründer der Organisation Grizzly-People, die sich seit 1991 für den Schutz der Grizzly-Bären im us-amerikanischen Alaska einsetzt. Treadwell selbst stürzte sich im Rahmen dessen mit Leib und Seele 13 Sommer lang in die Wildnis Alaskas, um den dort beheimateten Grizzlybären im wahrsten Sinne des Wortes auf den Pelz zu rücken, um, so das erklärte Ziel, zu verhindern, dass andere sie um denselben erleichtern. Dabei entwickelte er nach und nach eine tragische Nähe zu den imposanten Geschöpfen, die ihn und seine Freundin Amie Huguenard im Oktober 2003 das Leben kosten sollte. Nebst einem Schlachtfeld menschlicher Überreste hinterlässt Treadwell der Nachwelt sein Videomaterial, das Herzog aufarbeitete und 2005 in Form eines Dokumentarfilms dem öffentlichen Publikum präsentierte.

Zu sehen gibt uns Werner Herzog einen Timothy Treadwell, der ständig zwischen naiv-romantischem Kindsmann und wütendem Outlaw hin und her changiert. Nebst phänotypischer Ähnlichkeit erinnert auch der Gestus des redseligen Naturburschen des Öfteren an Herzogs filmische Allianz mit Klaus Kinski. Der Clou: Was bei Kinski in schauspielerischer Manier überzeichnet wirkt, muss sich hier der unmittelbaren Echtheit der Aufnahmen beugen, die der Grizzly Man in aller E
insamkeit, mal sachlich, mal fragil und oft konfessionell, in den Weiten Alaskas sorgfältig mit einer Handkamera dokumentiert hat. Wenn der blonde All-American-Boy den Bären und Füchsen die Kusshand zuwirft und hingebungsvolle I love Yous säuselt, fühlt man sich unangenehm an Michael Jackson erinnert. Wenn er sich immer wieder vor der Kamera bestätigt, wie gefährlich sein Unterfangen sei und wie schnell der Ritt auf der Rasierklinge zu Ende sein könne, stilisiert sich Treadwell selbst zur tragischen Figur. Und wenn sich der selbsternannte Held dann ins Camouflage-Outfit wirft, um der herannahenden Anti-Bären-Kavallerie den Kampf anzusagen, scheint Treadwell längst in einer Welt verloren, die ihm Schutz vor der verschwörerischen Zivilisation gewährt, die aber gänzlich irreal und irgendwie pathologisch ist. Doch Werner Herzog wäre nicht Werner Herzog, würde er es bei diesem Psychogramm Treadwells belassen.

In einer zentralen Einstellung, während der eine langjährige Freundin des Aktivisten Herzog das Audioband über Kopfhörer anhören lässt, das den Todeskampf Treadwells und seiner Begleiterin dokumentiert, spiegelt Herzog die Wirkung der Aufnahme in den Regungen der Beteiligten, ohne sie dem Zuschauer direkt zu präsentieren und umgeht die Unmittelbarkeit des Dokuments. „You should not keep it. You should destroy it.“, ist daraufhin seine zynische und zugleich warmherzige Absage an die Konvention des Dokumentarfilms und dessen Objektivität und Heiligkeit des Artefaktes und gleichzeitig ein Plädoyer für die Wirklichkeit der Erzählung – Lebe mit dem Nicht-Wissen, mit der eigenen Erzählung, wenn du damit besser lebst. Es sind gewohnt essayistische Entwürfe die Herzog präsentiert, ja, seine Interviewpartner regelrecht selbst ausbreiten lässt: Die Eltern Treadwells, die sich die Erinnerung an ihren Sohn symbolisch in Form seines liebsten Teddybären und einer damit assoziativ verknüpften kindlichen Liebe zu Tieren biografisch aneignen. Die eiskalten Absagen seiner Gegner, die ihn unverhohlen als Spinner titulieren, dessen tragisches Schicksal zwar bedauernswert, doch aber offensichtlich selbst verschuldet sei. Und schließlich Treadwell selbst, in seinem Bemühen der Welt eine plausible Geschichte über die Bedrohung der Bären und den strahlenden „Prince Valiant“, wie er sich tituliert, zu erzählen, indem er einige Einstellungen bis zu fünfzehn Mal in verschiedensten Schattierungen immer wieder aufs Neue durchexerziert, während sich in den gegenüber gestellten Spontanaufnahmen die Unmittelbarkeit der Erfahrung wiederspiegelt. Auch das Aufgreifen der fingierten Herkunft Treadwells funktioniert sprichwörtlich als solche Erzählung: Es gibt keinen Grund sich hintergangen zu fühlen, solange die Story ihre plausible Wirklichkeit entfaltet, oder wie einer der interviewten Freunde Treadwells auf Herzogs Nachfrage nach altem Farmersprichwort verlauten lässt: „If fit doesn’t scare the cows, who cares?“

Grizzly ManGrizzly ManGrizzly Man

So kreist Herzog stets um das Problem der Repräsentation des Erfahrbaren, immer wieder untermalt durch gewaltige visuelle Impressionen, die eine zweite Ebene neben der sprachlichen offenlegen. Spielerisch werden die Grenzen des Dokumentarfilms aufgezeigt, ohne diesem jedoch eine prinzipielle Absage zu erteilen, oder wie Herzog gewohnt trocken aus dem Off kommentiert: „And what haunts me is, that in all the faces of all the bears Treadwell ever filmed, I discovered no kinship, no understanding, no mercy. I see only the overwhelming indifference of nature.” Eine Indifferenz, der zwangsläufig die Differenz der Betrachtung gegenüber steht. Nicht das in Bilder und Sprache gepackte Unverständnis eines Weltentwurfes, sondern die Erfahrbarkeit von Transzendenz und Einheit als Naturerfahrung sind Dreh- und Angelpunkt von Herzogs Annäherung, die zwangsläufig nie zu einer einzigen Aussage finden kann: In einer eindrucksvollen Szene fleht Treadwell verzweifelt die Götter an, nach einer Dürreperiode doch nun endlich Regen zu schicken, gleichzeitig konstatierend, er sei kein religiöser Mensch. Kurze Zeit darauf bricht die Sintflut herein und Treadwell ergibt sich seiner Ekstase. Wie wirklich ist diese Erfahrung in ihrer religiösen Immanenz? Herzog nähert sich dieser Frage mit persönlicher Ambivalenz.
Gleichermaßen liegt es letzten Endes im Auge des Zuschauers, was er in den treudoofen Augen der Bären finden will, in denen Herzog jene Indifferenz, jenes Chaos der Natur ausmacht. Aber auch über seine essayistische Form hinaus bleibt Grizzly Man ein emotional berührendes Dokument eines Grenzgängers, das aber, so Herzog, mehr über den Blick des Betrachters verrät, als über die Wirklichkeit einer irgendwie gearteten Natur und das sich deshalb auch konzeptionell nahtlos in die Großtaten des Regisseurs einreiht.

Eine Rezension von Florian Schulz
(06. November 2009)
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Daten zum Film
Grizzly Man Vereinigte Staaten 2005
(Grizzly Man)
Regie Werner Herzog Drehbuch Werner Herzog
Produktion Erik Nelson Kamera Peter Zeitlinger
Darsteller Werner Herzog, Timothy Treadwell
Länge 103 Minuten FSK 15
Filmmusik Richard Thompson
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