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Der Baader Meinhof Komplex

Der Baader Meinhof Komplex

Ein Film von Uli Edel

Lange hat es sich kein Regisseur zugetraut, die blutigen Ereignisse, welche sich in Deutschland zwischen 1967 und 1977 abgespielt haben, bei denen die Baader-Meinhof-Gruppe, später Rote Armee Fraktion (RAF), eine Schneise des Terrors durch das Land zog, in einen Kinofilm zu packen. Klar gab es schon einige Annäherungen an den Stoff, doch größtenteils waren dies kleinere TV- Produktionen, die meist fiktive Geschichten um jene Mitglieder der linksextremistischen Terrorvereinigung strickten, die sich zunächst als Revoluzzer sahen, später jedoch zunehmend in einen radikalen Wahn reinsteigerten und für eines der schwärzesten Kapitel in der deutschen Historie sorgten. Über 30 Tote und mehr als 200 Verletzte, dazu umgerechnet rund 250 Millionen Euro Sachschaden- das war die traurige Bilanz der fanatischen Bewegung der RAF und deren Hauptorganisatoren Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Gudrun Ensslin sowie ferner Jan Carl Raspe.

Nun wagte sich also Erfolgsregisseur Uli Edel (“Christiane F.- Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”) an eine maßvolle Aufarbeitung dieser komplexen Thematik, wobei ihm sein Freund Bernd Eichinger (die beiden kennen sich seit ihrem gemeinsamen Besuch der Filmakademie München) wertvolle Unterstützung lieferte. Eichinger, der beteuert, dass ihm “das Thema sehr wichtig ist”, da er Zeitzeuge sei und die Geschehnisse damals mit großem Interesse verfolgt habe, produzierte und schrieb das Drehbuch, für das der Bestseller von Ex- “Spiegel
”- Chef Stefan Aust, “Der Baader Meinhof Komplex”, quasi das literarische Standardwerk über die RAF, als Vorlage diente. Edels gleichnamiger Film zeichnet die Zeitspanne von `67 bis zum “Deutschen Herbst” 1977 werkgetreu nach und schafft damit eine authentische, mitreißende, aber auch schonungslos brutale Chronik, die sich inszenatorisch auf Hollywood- Niveau bewegt, ohne dem in der Traumfabrik gängigen Pathos zu verfallen. Da Eichinger und Edel die umfangreichen historischen Begebenheiten jedoch in einem gut zweieinhalbstündigen Film rekonstruieren, um das Publikum nicht zu überfordern, sollte man schon gewisse Vorkenntnisse mitbringen, um der somit leicht gestauchten Handlung vollends folgen zu können.

Im Jahr 1967 sind die Studentenproteste in Deutschland in vollem Gange. Überall demonstrieren junge Menschen gegen die kapitalistische Ausbeute in der Gesellschaft, die Kriege in Vietnam und im Nahen Osten und die imperialistischen Großmächte wie Amerika. Die revoltierenden Studenten sehen sich als linke Gegenbewegung zu ihren nationalsozialistischen Vorfahren. Am 2. Juni desselben Jahres eskaliert allerdings die Situation, als Proteste gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien und seiner Frau zu gewalttätigen Straßentumulten ausarten, bei denen der Student Benno Ohnesorg durch den Schuss eines Polizisten umkommt. Als kurz darauf auch noch Studentenführer Rudi Dutschke angeschossen wird, formiert sich eine Gruppe von Widerstandskämpfern, darunter die intellektuelle Starkolumnistin Ulrike Meinhof (Martina Gedeck), die Studentin Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und ihr Freund Andreas Baader (Moritz Bleibtreu), um gegen die Unmenschlichkeit des Staates zu Felde zu ziehen. Nachdem die Gruppe in einem Kaufhaus eine Brandbombe gezündet hat, werden die Verantwortlichen verurteilt, können sich aber ins Ausland absetzen. Als Baader verhaftet wird, befreien seine Mitstreiter ihn mithilfe von Waffengewalt und tauchen mit ihm ab- die Geburtsstunde der RAF, die nun als gefährliche Stadtguerilla aus dem Untergrund die Fäden zieht…

Um die wichtigste Frage vorab zu klären: Gelingt es dem Filmteam, den realen Schrecken des Jahrzehnte zurückliegenden Terrors für die neue Generation greifbar zu machen? Immerhin bestand bei der Verfilmung des rund 900 Seiten langen Tatsachenromans die Gefahr, dass wichtige Passagen einfach unter den Teppich fallen und somit unzugänglich für Zuschauer bleiben, die mit dem Thema nicht so sehr vertraut sind. Doch Eichinger und Edel gelingt es, die Dramaturgie auf das Wesentliche zu verdichten und in nüchtern chronologischer Abfolge die einzelnen Abschnitte der Buchvorlage auf der Leinwand lebendig werden zu lassen. Zwar werden einige Randcharaktere und Geschehnisse nur beiläufig angeschnitten, so dass höchste Aufmerksamkeit beim Zuschauer gefragt ist, doch der “Baader Meinhof Komplex” konzentriert sich eben auf die zentralen Stationen und setzt bei der Einordnung einzelner Puzzlestücke ein gesundes Maß an Vorwissen voraus. Das Ergebnis ist eine intensive Zeitreise, die die Stimmung der 70er in all ihren Einzelheiten gelungen einfängt und der exakten Porträtierung des aufgeladenen politischen Klimas jener Zeit damit sehr nahe kommt.

Die sprunghafte Erzählweise lässt eins auf jeden Fall nicht zu: Nämlich dass sich der Betrachter mit den Figuren identifizieren kann. Die RAF- Komplizen mögen rein ideologisch gesehen gut gemeinte Ziele verfolgt haben, mit dem ersten Brandsatz in dem Frankfurter Kaufhaus wird aber aus stillem Protest schlagartig blutiger Ernst und aus der vorwiegend politisch motivierten Weltanschauung erwächst eine rücksichts- und erbarmungslose Terrorspirale, bei der es am Ende nur noch um die Bekämpfung der Obrigkeiten geht- wenn erforderlich mit roher Gewalt.

“Nur die Knarre löst die Starre!”
(Andreas Baader)

Dabei erkennen die Mitglieder der RAF nicht, dass sie mittlerweile mit eben einer solchen faschistoiden Einstellung vorgehen, wie sie sie ihrem Feind unterstellen. Das alles gipfelt schließlich 1977 in den Entführungen des Arbeitgeberpräsidenten Hanns- Martin Schleyer und der Lufthansa- Maschine “Landshut”, mit denen die nachrückenden Terroristen der zweiten RAF- Generation die im Stammheim- Prozess zu lebenslanger Haft verurteilten und nun einsitzenden Macher Baader und Ensslin freipressen wollten (Ulrike Meinhof hatte sich 1976 bereits in ihrer Zelle das Leben genommen)- bekanntermaßen erfolglos, da die deutsche Regierung um den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt sich nicht erpressen ließ und sogar Schleyer dafür opferte.

Uli Edel drehte teilweise an Originalschauplätzen. Damit verstärkt er noch den Eindruck eines möglichst realistischen Gesamtbildes. Zwischen die Spielszenen schneidet er dazu immer wieder Original- Aufnahmen, wie z. B. die Stürmung des Passagierflugzeugs “Landshut” durch die GSG 9 in Mogadischu, Fernsehinterviews mit Willy Brandt und Helmut Schmidt oder auch das Attentat auf die israelische Mannschaft bei Olympia `72 in München. Ein beliebtes Stilmittel des US- amerikanischen Action- Kinos findet indes auch hier Verwendung: Die halbdokumentarische Handkamera, die vereinzelt zum Einsatz kommt und eine frappierende Ähnlichkeit zum ursprünglichen Filmmaterial aus jener Zeit aufweist.

Lobenswert, wenn auch nicht für jedermann leicht verdaulich, ist die harte, ungeschönte Bildsprache des Films. “Der Baader Meinhof Komplex” ist keine verklärende Nostalgiestunde, sondern ein aufwühlendes Zeitdokument, das die Verbrechen der Terroreinheit wie auch die dadurch erzeugte Gegengewalt in all ihrer Grausamkeit wiedergibt. Doch auch die psychische Belastung, die die RAF- Gruppe in der “Isolationshaft” erlebt haben muss, wird haargenau deutlich. Wenn Holger Meins (Stipe Erceg) infolge seines Hungerstreiks, den die Terroristen im Kollektiv zur Erzwingung besserer Haftbedingungen vollführen, am Bett fixiert und zwangsernährt wird, ist das eine krasse Szene, die aufgrund ihrer schnörkellosen Darstellung lange im Gedächtnis haften bleibt. Erschreckend eiskalt zeigt Edel auch den Anschlag auf Schleyers Begleitmannschaft. Hier wird deutlich, dass die zweite (und später auch dritte) RAF- Generation die Brutalität nochmals verschärfte, wie Andreas Baader es im Film auch richtig prophezeit.

“Der Baader Meinhof Komplex” wird von ansprechenden schauspielerischen Leistungen getragen. Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck, die schon in “Elementarteilchen” zusammen spielten, bringen als Namensgeber der Baader-Meinhof-Gruppe die Motivationen ihrer Figuren präzise zum Ausdruck. Die Meinhof, welche das umstürzlerische Konzept in der Urform in ihrer Kolumne entworfen hat, entzweit sich im späteren Verlauf von den übrigen Mitgliedern des “harten Kerns” der RAF. Auch diesen Sinneswandel bringt Gedeck glaubwürdig rüber. Die Entdeckung des Films ist allerdings Johanna Wokalek (“Barfuß”), die der echten Gudrun Ensslin nicht nur zum Verwechseln ähnlich sieht, sondern der vor nichts zurückschreckenden, unberechenbaren Terroristin auch eine unglaubliche Präsenz verleiht und sich schauspielerisch sogar noch vor ihren beiden Kollegen in den Hauptrollen, Bleibtreu und Gedeck, platziert. Doch dies sind nicht die einzigen Highlights auf der Besetzungsliste. Große Namen wie Nadja Uhl (“Sommer vorm Balkon”), Alexandra Maria Lara (“Der Untergang”), Heino Ferch, Jan Josef Liefers oder auch Bruno Ganz als BKA- Chef Horst Herold, der unermüdlich Jagd auf die Terrorgruppe macht, geben sich gewissermaßen die Klinke in die Hand und ergänzen das erstaunliche Staraufgebot.

Zum Meisterwerk fehlt dem “Baader Meinhof Komplex” dann aber doch ein gutes Stück. Letztendlich bringt den Film vor allem eine künstlerisch wie wirtschaftlich nachvollziehbare Entscheidung seitens der verantwortlichen Macher um dieses Prädikat. Und zwar jene, die vielschichtige, sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckende Handlung für das breite Kinopublikum auf einen knapp zweieinhalbstündigen Film zu straffen. Hierdurch wirkt die Dramaturgie an einigen Stellen ziemlich holprig. So hätte beispielsweise die Einführung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar ruhig etwas ausführlicher ausfallen können. Macht aber nichts: Die packende Nachzeichnung der schrecklichen Ereignisse um die Terrorgruppe RAF ist gutes deutsches Event-Kino, das sich vor internationalen Blockbuster- Produktionen nicht zu verstecken braucht und damit, dass verharmlosende und/oder glorifizierende Elemente strikt vermieden wurden, einen bedeutsamen Schritt in die richtige Richtung unternimmt. Und für all jene, die der Materie noch etwas näher kommen wollen: Dieses Jahr wird Uli Edels Terror- Drama voraussichtlich als längerer TV-Zweiteiler im Fernsehen gezeigt. Gespannt sein darf man auf diese Fernsehausstrahlung auf jeden Fall…

Eine Rezension von Christopher Michels
(12. März 2009)
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Daten zum Film
Der Baader Meinhof Komplex Deutschland 2008
Regie Uli Edel Drehbuch Bernd Eichinger
Produktion Constantin
Darsteller Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Johanna Wokalek, Stipe Erceg, Nadja Uhl, Alexandra Maria Lara, Heino Ferch, Jan Josef Liefers, Bruno Ganz
Länge 144 Minuten FSK ab 12
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