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Chinatown

Chinatown

Ein Film von Roman Polanski

Generell sollte man seine Nase nicht zu tief in die Angelegenheiten anderer stecken. Es sei denn, man ist Privatdetektiv und hat den Auftrag erhalten, heimlich fremden Leuten nachzuspionieren. Dass aber auch ein mit allen erdenklichen Tricks arbeitender Profi-Spürhund dabei in allerlei lebensbedrohliche Gefahren schlittern kann, muss Jake Gittes (Jack Nicholson), ein verdeckter Ermittler irgendwo im Los Angeles der 30er Jahre, in Roman Polanskis Neo-Noir-Geniestreich „Chinatown“ (1974) am eigenen Leibe erfahren. Das Aufschlitzen des symbolisch stehenden Riechorgans des „Schnüfflers“ Gittes durch einen obskuren Gauner (Polanski in einem Cameo-Auftritt) ist da nur der Anfang.

Dabei beginnt eigentlich alles mit der Bitte einer verzweifelten Frau, die sich als Evelyn Mulwray (Diane Ladd) ausgibt und Jake in dessen Büro in der Detektei dazu anhält, ihren Mann zu beschatten, da sie in dem Glauben ist, er habe eine außereheliche Affäre. Jake, der sich offenbar nach dem Feierabend sehnt, will sie zunächst davon überzeugen, dass sie lieber noch einmal eine Nacht drüber schlafen und ihren Verdacht überdenken solle, doch die Auftraggeberin lässt nicht locker. Also nimmt Jake die Ermittlungen auf und observiert Hollis Mulwray (Darrel Zwerling), der als Ingenieur bei den Stadtwasserwerken tätig ist und zur Zeit einen eher schlechten Ruf bei den Bürgern von L.A. genießt, da er sich öffentlich gegen den Bau eines Staudamms ausgesprochen hat. Auffallen
d ist gleich, dass Hollis sich ständig in der Nähe von Flüssen und Kanälen rumtreibt, was Jake nur weitere Rätsel aufgibt. Als er den Ingenieur wenige Tage später tatsächlich mit einer jungen Frau beobachtet und ein Foto von den beiden schießt, landet dieses ohne sein Einwirken auf der Titelseite der Zeitung. Kurz darauf taucht die echte Evelyn Mulwray (Faye Dunaway) auf und droht mit einer gerichtlichen Klage, weil Jake sich, ohne dass sie ihn darum gebeten hat, der Freiheit bemächtigt habe, sich in deren Privatleben einzumischen.

Die ganze Sache wird aber noch vertrackter: Als Jake nämlich wiederum Hollis aufsucht, um ihn zur Rede zu stellen und die Wahrheit zu erfahren, wird er Zeuge, wie ein Polizeitrupp unter der Leitung eines Jake gegenüber misstrauischen Lieutenants (Perry Lopez) die Leiche des Bespitzelten aus dem Flussbett zieht. Das Salzwasser in seinen Lungenflügeln deutet darauf hin, dass Hollis nicht an dem von der Dürre gezeichneten Fundort gestorben ist. Was ist geschehen? Jake findet heraus, dass der Tote und Evelyns stinkreicher Vater Noah Cross (John Huston) einst gemeinsame Inhaber der Wasserwerke waren, bis Differenzen bei wirtschaftlichen und ökologischen Fragen die beiden entzweiten. Steckt der Millionär Cross möglicherweise hinter einem groß angelegten Vertuschungs- und Mordkomplott? Und was hat Evelyn vor Jack zu verbergen? Und wer ist die mysteriöse, mittlerweile spurlos verschwundene junge Frau, mit der Hollis kurz vor seinem Tod gesehen wurde und auf deren schnellstmögliches Aufspüren Cross auf einmal so erpicht ist?...

Nach der kaltblütigen Ermordung seiner Ehefrau Sharon Tate durch die Manson-Bande wollte der polnischstämmige Regisseur Roman Polanski eigentlich nicht mehr in die Vereinigten Staaten zurückkehren, die er Jahre zuvor in Richtung Europa verlassen hatte. Für „Chinatown“ (nominiert für 11 Oscars, ausgezeichnet nur für das beste Originaldrehbuch) tat er es trotzdem, weil ihm das Projekt seit jeher sehr am Herzen gelegen haben muss. Dass eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ihn nur drei Jahre später mehr oder weniger dazu zwang, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten erneut den Rücken zu kehren und seinen alternativen Wohnsitz in Paris zu beziehen, um den Strafverfolgungsmaßnahmen in Amerika zu entgehen, ist pure Ironie des Schicksals.

Diese unschöne Randanekdote ändert aber nichts daran, dass Polanski mit „Chinatown“ seinen persönlichen Schaffenshöhepunkt erklomm, von dem Kritiker bereits in den 60er Jahren sprachen, als das Regietalent innerhalb eines knappen Jahres mit dem antirationalistischen Horrorfilm „Rosemary`s Baby“ und dem mit jeder Menge satirischen Spitzen versehenen Blutsaugerulk „Tanz der Vampire“ zwei definitive Klassiker vorlegte. In „Chinatown“ war Polanski dann komplett den düsteren Gefilden des surrealistischen Horrors entstiegen und tauchte stattdessen in ein nicht minder düsteres Genre ein: den klassischen film noir, ein Genre, das in den 40er und 50er Jahren florierte und dem Polanski inmitten einer neuen Zeitperiode ein überaus würdiges Denkmal errichtete. „Chinatown“ versetzt einen geradewegs in jene goldene Ära des film noir zurück, in dem er nicht nur im Los Angeles der 30er Jahre spielt, wo die Nachwehen der „großen Depression“ zu konspirativen Machenschaften wie Mord und Korruption führen, sondern diesem traditionellen Filmgenre im eleganten Retro-Gewand auf wundersame Weise neues Leben einhaucht und die verzwickte Geschichte mit den ureigenen Mustern und Zutaten eines film noir ausstattet. Da gibt es die undurchschaubaren Figuren, die nach außen hin den Anschein erwecken, sie hätten eine weiße Weste, die aber dunkle Geheimnisse hüten; den forsch ermittelnden und hinter das Geflecht aus Lügen, Verlogenheit und Schweigsamkeit blicken wollenden Privatdetektiv, wie wir ihn aus den Kriminalromanen eines Raymond Chandler kennen; den Cop, der ihm kein Wort glaubt und vielleicht sogar mit den Ganoven unter einer Decke steckt usw. Polanski verunsichert sein Publikum, legt falsche Fährten aus, bleibt dabei aber stets stilsicher.

ChinatownChinatownChinatown
Doch „Chinatown“ käme nie in Verdacht, in einer art engem stilistischem Korsett zu verharren, sondern spielt auf originelle und variantenreiche Weise auf der Klaviatur des Genres. Exemplarisch hierfür steht die Rolle der Evelyn Mulwray, stilvoll dargeboten von Faye Dunaway (Bonnie & Clyde), die den Platz der noir- typischen femme fatale in der Handlung einnimmt, bei der aber nicht nur Ermittler Gittes, sondern ebenso der Zuschauer selbst ständig hin- und hergerissen ist. Evelyn, die sich in Zusammanhang mit dem Mordfall Mulwray vordergründig kooperativ zeigt, nährt mit ansteigender Laufzeit den Verdacht, auch mindestens eine Leiche im Keller zu haben. Dann später – nachdem ein erschreckender Twist das Gesamtbild noch einmal um hundertachtzig Grad gedreht hat – ermöglicht einem der Film einen wesentlich ambivalenteren, verzweigteren Blick auf das Gesehene. Und auch bezüglich der Ambitionen des machttrunkenen Noah Cross fällt es einem dann wie Schuppen von den Augen.

Zwischen all dem steht der Wahrheitsliebhaber Jake Gittes, der am Ende die minutiös durchkonzipierte Kette des Verbrechens zwar aufgedeckt hat, dafür aber auch eine bittere Lektion gelernt hat, die ihn lehrt, dass die Suche nach der Wahrheit eine ernüchternde (und auch verlustreiche) sein kann, wenn man in ein Wespennest sticht. Die Schmach, die Gittes damals in Chinatown erlitten hat (im Film mehrmals angedeutet) kann sich in der Gegenwart nur wiederholen. Jack Nicholson (Shining, „Easy Rider“) spielt den moralisch denkenden Privatdetektiv so voller Ausdruck und Inbrunst, dass man nicht umhin kommt, ihn als einen der ganz Großen des „New Hollywood“-Kinos zu deklarieren. Wie bei Einer flog über das Kuckucksnest versprüht Nicholson einen spitzbübischen Charme, sein Jake Gittes ist sich weder für einen versauten Witz vor der versammelten Mannschaft seiner Kollegen, noch für einen offensiv-ironischen Spruch zu schade (Gittes auf die Frage eines Mitarbeiters der Wasserwerke, ob die Verletzung an der Nase wehtue: „Nur, wenn ich atme!“), ist aber gleichzeitig ein knallharter Hund, der seinen Job ernst nimmt und dem man kein x für ein u vormachen kann. Mit Schnüffler Gittes kreierte Nicholson eine Figur für die Ewigkeit, die den gloriosen Detektivrollen des guten alten Mister Bogart (Phillip Marlowe, Sam Spade) in nichts nachsteht.

Ebenso reiht sich „Chinatown“ mühelos in die Phalanx solcher Genreklassiker wie „Die Spur des Falken“ oder „Tote schlafen fest“ ein, obwohl Polanski sowohl inhaltlich als auch optisch eigene Akzente setzt. Wo Carol Reed in seinem WW2-Krimi Der dritte Mann noch mit expressionistischem Schwarzweiß und fahler Belichtung arbeitete, funkeln in „Chinatown“ die goldenen Sonnenstrahlen über den ausgedorrten Tälern und gaukeln eine Atmosphäre des Durchsichtigen, Klaren vor, während die zigarettengeschwängerte Luft in den Räumlichkeiten des Detektivbüros oder des Katasteramtes schon anderes verheißt. Die edle Ausstattung verweist wiederum gekonnt auf ihre Herkunft und ist ein einziger Genuss. Auch die hervorragend montierte Verfolgungsjagd durch den Irrgarten der Orangenplantage und der im altmodischen Stil gefilmte, von der Musik von Jerry Goldsmith kongenial unterlegte Vorspann haben Weltklasseformat.

Mit „Chinatown“ reanimierte Polanski den im Dornröschenschlaf befindlichen film noir auf überaus schicke, raffinierte und hochspannende Weise und brachte damit ein wahres Meisterwerk zustande. Neben den schon ausführlich besprochenen Akteuren aus der ersten Liga Hollywoods sollte Genre-Altmeister John Huston als hinterlistiger Bösewicht Noah Cross nicht unerwähnt bleiben. Huston fungiert als perfektes Bindeglied zwischen dem glorreichen Noirzeitalter und seiner eigenen Filme sowie dem modernen Neo-Noir, dem „Chinatown“ ein so faszinierendes Gesicht gegeben hat.

Eine Rezension von Christopher Michels
(08. September 2009)
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Daten zum Film
Chinatown USA 1974
(Chinatown)
Regie Roman Polanski Drehbuch Robert Towne
Produktion Paramount Kamera John A. Alonzo
Darsteller Jack Nicholson, Faye Dunaway, John Huston, Diane Ladd
Länge 130 Minuten FSK ab 16
Filmmusik Jerry Goldsmith
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