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Magnolia

Magnolia

Ein Film von Paul Thomas Anderson

"We may be through with the past, but the past is never through with us."

Neun Menschen. Neun Schicksale. 24 Stunden in einem kleinen Vorort von Los Angeles, in dem sich aller Wege kreuzen - mal mehr, mal weniger zufällig. Neun grundverschiedene Persönlichkeiten, wie es scheint. Und doch verbindet sie alle eins: Die verzweifelte Suche nach Liebe, Geborgenheit, und nach der Vergebung der eigenen Schuld. Es geht um das gemeinsame Ziel, sich von der schmerzvollen Vergangenheit reinzuwaschen und sein durcheinander geratenes Leben wieder in Ordnung zu bringen. "Etwas Kleines und Intimes" wollte Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson ("Boogie Nights", "There Will Be Blood") schreiben - und das ist ihm mit seiner dreistündigen Kinocollage "Magnolia" auch tatsächlich gelungen - trotz oder gerade wegen der universellen Sprache, die der Film spricht.

Nahe liegende Vergleiche mit Episodendramen à la "Short Cuts" sind mit Vorsicht zu genießen. Lässt Anderson die Geschichten seiner Figuren anfangs einfach nur parallel nebeneinander her laufen, verwebt er sie im weiteren Verlauf zu einem kunstvollen Spinnennetz - und kommt dem kryptisch anmutenden Filmtitel somit auf plausible Weise entgegen: Die Einzelschicksale in "Magnolia" sind nämlich ebenso wie die Blüten des namensgebenden Gewächses nur kleiner Teil eines großen, zusammenhängenden Ganzen.

Da hätten wir den an Lungenkrebs erkrankten TV-Produzenten Earl Partrid
ge (Jason Robards), der weiß, dass er bald sterben muss. Ein Mann namens Phil Parma (Philip Seymour Hoffman) pfelgt ihn fürsorglich. Ihm beichtet Earl vom Krankenbett aus seine Sünden, dass er seine um ein Vielfaches jüngere Ehefrau Linda (Julianne Moore) betrogen hat, die - jetzt, wo ihr bewusst wird, dass sie ihren Mann immer noch liebt - völlig am Boden zerstört und im Begriff ist, sich mit Medikamenten das Leben zu nehmen. Earl hat einen allerletzten Wunsch: Er möchte, dass Phil seinen Sohn Frank T. J. Mackey (Tom Cruise) ausfindig macht, dem er seit Jahren nicht unter die Augen treten konnte, weil er so sehr unter seinen Schuldgefühlen litt und Angst davor hatte, Frank würde ihn verschmähen. Genau dieser Frank moderiert eine sexistische Fernsehshow für ein ausschließlich männliches Publikum, die ihm hohe Einschaltquoten beschert. Bei einem Interview vor laufender Kamera bricht Franks Lügengerüst, welches er sich bezüglich seiner Vergangenheit aufgebaut und mit seiner Macho-Tarnung aufrecht erhalten hatte, schließlich zusammen.

Dann wäre da Claudia (Melora Walters), die als Kind von ihrem eigenen Vater missbraucht woden und seitdem der Drogensucht verfallen ist. Ihre empfindlich getroffene Seele sucht Halt in kurzlebigen Affären mit Männern, bis der charmante Officer Jim Kurring (John C. Reilly) wegen einer Beschwerde der Nachbarn plötzlich vor ihrer Tür steht. Beide schienen mehr füreinander zu empfinden als bloße Freundschaft. Claudias Vater ist der Quizmaster Jimmy Gator (Philip Baker Hall), der ebenfalls an Krebs erkrankt ist. In dessen Sendung tritt unter anderem Stanley Spector (Jeremy Blackman) auf, ein schier allwissendes Kind, das es mitten in der Show plötzlich satt hat, auf Knopfdruck die ihm gestellten Fragen zu beantworten, nur damit sein gewinngieriger und übertrieben stolzer Dad mit ihm zufrieden ist. Und dann gibt es da noch Donnie Smith (William H. Macy), der aus Geldnot den Safe seiner Firma zu plündern versucht - und dabei von Officer Jim erwischt wird...

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Zwischen diesen noch so unterschiedlich erscheinenden Figuren schlägt Anderson eine klar erkennbare emotionale Brücke. "Magnolia" handelt von Liebe und Leid, von Verlust und Tod, von Schuld und Verzeihung, von zerstrittenen Familien und Generationskonflikten wie dem zwischen Frank und Earl, die sich - die sie beide im Rampenlicht stehen - ähnlicher sind als zunächst angenommen. Der Film handelt von verletzten Seelen, von Menschen, die in ihrem Leben an einem Punkt angelangt sind, an dem es zu spät ist, vor den eigenen Fehlern davonzulaufen. Jimmy Gator etwa erkennt erst im fortgeschrittenen Stadium seiner Krebserkrankung, dass eine Aussöhnung mit seiner Tochter Claudia nur dann stattfinden kann, wenn einer von ihnen beiden der ersten Schritt macht. Eine höhere Gewalt, nämlich der bevorstehende Tod Earls, zwingt auch Frank dazu, seine Fehler einzugestehen und auf den verhassten Vater zuzugehen. Zu lange hat er seine Poser-Rolle gepflegt und sich selbst etwas vorgespielt. Claudia wiederum gewinnt durch die Liebe zu Jim neuen Mut, den verdrängten Wahrheiten endlich ins Augen zu blicken. Und Krankenpfleger Phil, mit Jim, dem Polizist, zusammen die "gute Seele" des Films, hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, zwei Streithähne wieder zusammen und in Einklang zu bringen.

Der bereits angemerkte Zufall spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Schon im Vorspann des Films werden anhand dreier beispielhafter Anekdoten Macht und Einfluss des Schicksals erläutert. Dennoch bleibt bei "Magnolia" nie etwas der reinen Willkür überlassen: So regnet es am Schluss bestimmt nicht von ungefähr plötzlich Abertausende Frösche vom Himmel. Dieser auf die Bibel zurückzuführende (2. Buch Mose, Exodus 8:2; im Film mehrmals angedeutet) übernatürliche Niederschlag dient dazu, das Leben der Beteiligten in die richtigen Bahnen zu lenken und das ganz große Chaos zu verhindern (eines der Tiere z.B. fällt just in dem Moment durch das Dach von Jimmy Gator, als dieser sich gerade erschießen will). Die immer wieder angezeigte Wetterlage "wacht" während des gesamten Films über das ebenso kapriolen-artige Verhalten der Protagonisten.

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"Magnolia" verdammt seine Figuren nicht, sondern tritt ihnen sogar mit offener Sympathie entgegen, da er sich der Normalität ihrer Schwächen bewusst ist. Der Film gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Leben besser zu machen und aus ihren Fehlern zu lernen. Bei allem erfahrenen Schmerz bleibt ein gewisser unorthodoxer Galgenhumor, den Anderson ihnen in den Mund legt, und die Hoffnung darauf, dass die als Quintessenz des Films fungierende These, "Nichts geschieht ohne Grund", tatsächlich zutrifft.

Um den aufrichtigen Gefühlen und Gefühlsschwankungen der Figuren gerecht zu werden, bedarf es der dafür geeigneten Darsteller. Hier versammelt Anderson gut die Hälfte der Schauspielerformation seines Vorgängerfilms "Boogie Nights" wieder vor der Kamera. William H. Macy, Julianne Moore, Philip Seymour Hoffman, John C. Reilly und Philip Baker Hall spielen sich dabei allesamt die Seele aus dem Leib; für einen Teil von ihnen bedeutet der Auftritt in "Magnolia" sogar die Karrierebestleistung. Am positivsten fällt ausgerechnet Tom Cruise auf, der endlich mal sein Sonnyboy-Image ablegt, der einen äußerst gewöhnungsbedürftigen Charakter mimt, unter dessen gelackter, protziger Chauvi-Oberfläche alsbald die pure Verzweiflung herausquillt. Vielleicht ist Cruise` Darstellung sogar die beeindruckendste in "Magnolia", auch und vor allem deswegen, weil der Star sich hier nicht medienwirksam in den Vordergrund drängt, sondern stets Teil der Geschichte bleibt. Direkt dahinter folgen dann auch schon Melora Walters (eine wahre Offenbarung!) und Altstar Jason Robards (in seiner letzten Rolle). Einen weiteren Coup landete Anderson mit der Verpflichtung der US-Songwriterin Aimee Mann, die den gesamten Soundtrack zu "Magnolia" komponierte. Selten haben Film und Filmmusik so gut miteinander harmoniert. Besonders der Einsatz eines Songs, den alle Beteiligten auf einmal zeitgleich vor sich hin summen, ist kongenial.

"Magnolia" ist ein Film, der aufgrund seiner Fülle an Handlungen, Vorkommnissen und Betrachtungsweisen zum mehrmaligen Ansehen geradezu einlädt, der zugleich fordert und unterhält, bewegt und amüsiert, und der, wenn überhaupt, dann eines beweist: dass Kino ambitioniert sein kann, ohne auch nur im Entferntesten sperrig oder betulich wirken zu müssen.

Eine Rezension von Christopher Michels
(03. Februar 2010)
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Daten zum Film
Magnolia USA 1999
(Magnolia)
Regie Paul Thomas Anderson Drehbuch Paul Thomas Anderson
Produktion New Line, Kinowelt Kamera Robert Elswit
Darsteller Julianne Moore, Tom Cruise, Philip Seymour Hoffman, William H. Macy, John C. Reilly, Jason Robards, Melora Walters
Länge 180 Minuten FSK ab 12
Filmmusik Jon Brion
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