Filmkritiken - von Independent bis Hollywood
 
2008 Filmkritiken | 10468 Personen | 3323 Kommentare  
   
Bitte wählen Sie

Email

Passwort


Passwort vergessen

> Neu anmelden

Auch interessant



Dark Water – Dunkle Wasser
von Walter Salles




Meist gelesen¹

1. 
Cannibal Holocaust (Nackt und Zerfleischt)  

2. 
Auf der Alm da gibt's koa Sünd  

3. 
Martyrs  

4. 
Troll Hunter  

5. 
Supernatural  

6. 
Antikörper  

7. 
Das Zeiträtsel  

8. 
Harry Potter und der Orden des Phönix  

9. 
Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All  

10. 
Midnighters  
¹ gilt für den aktuellen Monat

  FILMSUCHE
  Sie sind hier: Filmkritiken > Matthias Glasner > Der freie Wille
Der freie Wille RSS 1.0


Der freie Wille

Der freie Wille

Ein Film von Matthias Glasner

Matthias Glasner machte es sich und seinen Schauspielern – allen voran seinem guten Freund Jürgen Vogel - beim Dreh zu „Der freie Wille“ nicht leicht. Wie könnte er auch, betrachtet man das Thema, das er für seinen inzwischen dritten Kinofilm (nach „Sexy Sadie“ und „Fandango“) gewählt hat: Vergewaltigung.

Irgendwo an der Ostsee. Theo Stoer (Jürgen Vogel) hat Ärger in seinem Job als Küchenhilfe. Er verlässt die Küche und fährt scheinbar ziellos durch die Lande. Irgendwann trifft er auf eine Radfahrerin, überwältigt und vergewaltigt sie. Die Polizei kann ihn noch in der gleichen Nacht festnehmen. Abblende.
Neun Jahre später kommt Theo aus dem Maßregelvollzug frei. Durch ein Programm für Ex-Häftlinge bekommt er ein Zimmer in einer WG und findet in einer Druckerei eine Arbeitsstelle. Doch die Angst vor Frauen, die Angst sich nicht selbst kontrollieren zu können macht sein Leben in Freiheit zur Qual. Er sucht sich Ersatzbefriedigungen, treibt exzessiv Sport, versucht seine Krankheit zu besiegen. In einer Schicksalswendung lernt er schließlich Nettie (Sabine Timoteo) kennen, die Tochter seines Chefs. Psychisch missbraucht und ausgenutzt vom Vater sehnt auch sie sich nach Wärme und Geborgenheit. Nach und nach beginnen sich Theo und Nettie ineinander zu verlieben.

ellspacing='0' align='center'>
Der freie WilleDer freie WilleDer freie Wille
Was sich nach dem ersten Lesen der Inhaltsangabe fast wie ein Liebesfilm mit Happy End anhören könnte, entpuppt sich sehr schnell als einer dieser Filme, die dem Zuschauer für eine lange Zeit im Gedächtnis bleiben werden. Glasner setzt hier nicht auf leichte Filmkost mit dem erhobenen Zeigefinger des Moralisten. Die Kamera folgt Theo und dessen Handeln stetig, voyeuristisch und ohne abzublenden. Die Vegewaltigungsszene, die der Betrachter bereits nach ein paar Minuten über sich ergehen lassen muss, ist in ihrer Ausführlichkeit und Dauer wie auch in ihrer seelischen und körperlichen Grausamkeit kaum zu überbieten. Schon diese überharte Einführung zeigt: Dieser Film wird nicht einfach werden.

Glasners Ansatz, seinem Hauptdarsteller auf Schritt und Tritt zu folgen und dabei doch dezent im Hintergrund zu bleiben, sein Spiel mit der Kamera und die ruhige Erzählweise, das alles trägt zu der unglaublich dichten und beklemmenden Atmosphäre bei. Wir beobachten Theo bei alltäglichen Dingen, bei der Arbeit und beim Einkaufen, beim Essen im Restaurant, beim Kampfsporttrainung und an der Bushaltestelle – aber eben auch beim Onanieren zu einem Porno und wenn die sexuelle Reizüberflutung der Großstadt mit Ihren Plakaten und Bildern ihn an seine ganz eigene Grenze treiben, er verzweifelt bei seinem Therapeuten anruft und um Hilfe bittet. Jürgen Vogel spielt diese sicherlich alles andere als einfache Rolle mit einer angsteinflößenden Authentizität für die er mit dem silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Aber auch sein weibliches Pendant Sabine Timoteo steht ihm mit ihrer meisterhaft vorgetragenen Figur der Nettie in nichts nach.

Der freie WilleDer freie WilleDer freie Wille
„Der freie Wille“ ist wie kein anderer Film vorher dazu in der Lage, die Zerrissenheit der Hauptfigur in den Vordergrund zu stellen. Theo, der ständig versucht ein besserer, ein humanerer Mensch zu werden und schließlich doch scheitert. Aber der Film geht noch einen Schritt weiter – er bezieht den Zuschauer ein. Die Zerrissenheit der Hauptfigur geht mit andauernder Länge auf den Betrachter über. Man verdammt Theo für das, was man in den ersten Minuten ertragen musste – und doch wünscht man es ihm (oder vielleicht auch nur sich selbst), dass er seinen inneren Kampf gewinnt. An dieser Stelle ist kein Schwarz-Weiß-Denken mehr möglich.

Dass der Film Theos Taten nie eine Rechtfertigung gibt und auch die Opfer nie thematisiert oder näher betrachtet werden, ist sicherlich nicht schön, für den Film aber durchaus nachzuvollziehen. Der Zuschauer soll sich seine eigene Meinung bilden, seine eigene Zerrissenheit betrachten. In diesem Sinne ist es sicher auch sinnvoll die Frage nach dem freien Willen nie konkret zu beantworten.

FAZIT: Der freie Wille ist sicherlich alles andere als ein Unterhaltungsfilm. Der Zuschauer muss - wie auch Regisseur und Schauspieler vor ihm - arbeiten. Er muss diesen Film bis zum Ende und über die kompletten drei Stunden betrachten wollen. Und eben das ist nicht immer leicht. Die Intensität, mit der der Film vorgeht ist oftmals kaum zu ertragen. Die Frage, ob es sich lohnt kann kein Kritiker beantworten. Diese Frage, wie auch die Frage nach der Existenz des freien Willens muss jeder Einzelne für sich selbst beantworten.

Eine Rezension von Chris Lauer
(09. März 2007)
    Der freie Wille bei ebay.de ersteigern


Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

Daten zum Film
Der freie Wille Deutschland 2006
Regie Matthias Glasner Drehbuch Judith Angerbauer, Matthias Glasner, Jürgen Vogel
Produktion Frank Döhman, Christian Granderath, Matthias Glasner, Jürgen Vogel
Darsteller Jürgen Vogel, Sabine Timoteo, André M. Hennicke, Manfred Zapatka
Länge 163 FSK 16
http://www.derfreiewille.de
Kommentare zu dieser Kritik
travisbickle TEAM sagte am 12.07.2009 um 16:48 Uhr

Dieser aufrüttelnde Blick in die Psyche eines Triebtäters kommt in seiner unverblümten Direktheit und messerscharfen Präzision einer Grenzerfahrung gleich, ist aber meines Erachtens nach gerade deswegen einer der wichtigsten Filme der letzten Jahre. Quälend intensives, unverfälschtes deutsches Kino, das aufschreit und tief berührt.

Kompliment auch an Jürgen Vogel... Eine solche Rolle überhaupt anzunehmen, erfordert Mut. Zudem kann ich mich nicht erinnern, jemals eine bessere schauspielerische Leistung von Vogel gesehen zu haben- beängstigend, wie er den schmalen Grat zeichnet, auf dem seine Figur Theo andauernd wandelt!

Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

 

Impressum