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Colossus

Colossus

Ein Film von Joseph Sargent

(USA, 1970)



„Die Jugend von heute stellt einfach so alle wichtigen, intimen Informationen öffentlich auf dieses Facebook ein. Das ist doch ein absolut vorbildliches Verhalten!!"
(Florian Schröder, in einer Parodie auf Wolfgang Schäuble)


„You will say you lose your freedom. Freedom is an illusion. All you lose is your emotion of pride.“



Lustig, wenn sich Zeitungsartikel gegenseitig kommentieren. Auf einer Seite der taz konnte man 2011 vom Verschwinden des chinesischen Künstlers Ai Weiwei lesen. Fast daneben der neueste Schwank von Apples iPhone, dem lockerflockigen Umgang mit dem Datenschutz und der Eignung des Premiumproduktes als Ortungsgerät. Der Leser dachte sich: Tja, hätte Ai Weiwei nur ein iPhone, dann wüssten wir vielleicht wo er ist. (Doch vermutlich ist der Empfang in chinesischen Verhörzellen eher schlecht.)

Apple sorgt dafür, dass wir alle bald mit kleinen Wanzen durch die Gegend laufen. In einer Werbeanzeige für das teure Teil sieht man die Karte des Münchener Olympiaparks. Der Anwender fragt: "Wo ist mein Bruder?", das Taschentelefon antwortet: "Ich glaube, Tom ist hier". Es ist nur ein Gedanke, aber vielleicht möchte Tom nicht dass jeder weiß, wo er gerade ist. Vielleicht möchte er ungestört mit der Freundin des Bruders fremdgehen.

Oder Tom ist ein politisch Verfolgter, ein Systemgegner, ein Mann de
r zu viel weiß. Und der Frager gar nicht sein Bruder, sondern jemand der schießen darf, ohne dass hinterher irgendjemand dumme Fragen stellt. Was dann?!

Seit Menschen von Computern träumen und Geschichten schreiben, fragen wir uns, wie gut oder schlecht der technische Fortschritt uns bekommt. Vor allem, wenn wir unsere Macht und Verantwortung in die Hände von künstlichen Intelligenzen legen. Fast immer wird einem bei der Antwort Angst und Bange. Seit einigen Jahren wissen wir jedoch, dass es in vielen Ländern keine Chance auf Demokratie ohne die neuen soziale Medien gibt. Aber die Mahnungen aus der Science Fiction sind klug und plausibel genug, dass man sich immer wieder mit ihnen auseinandersetzen sollte. So wie zum Beispiel in Colossus - The Forbin Project (1970).

Im fiktiven Amerika der Zukunft herrscht noch immer Kalter Krieg. Die USA legen die volle Kontrolle von Militär und Atomausrüstung in die Hände des Supercomputers ‚Colossus‘. Entwickelt vom als genial geltenden Kybernetiker James Forbin (Eric Braeden) ist er gegen jede Einflussname von außen geschützt. Ein System, das sich selbst erhält und weiterentwickelt. Die Frage die sich aufdrängt, ob Colossus so etwas wie ein eigenes Bewusstsein entwickeln könne, verneint das Genie.

Kaum ans Netz angeschlossen vernetzt sich Colossus mit dem Supercomputer ‚Guardian‘, den die Russen ohne Wissen der Amerikaner entwickelten und am selben Tag ans Netz geht. Damit beginnt die Katastrophe. Colossus entwickelt ein eigenes Bewusstsein und gehorcht seinen Erbauern nicht mehr. Alle Versuche, die Kontrolle zurückzuerobern scheitern und werden grausam bestraft. Am Ende stellt der Computer die Menschheit vor die Wahl: Ein Leben in Frieden unter seiner absoluten Herrschaft – oder Vernichtung.

Die Macher dieses Films hatten das Pech, sich fast zur selben Zeit mit Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey (2001: Odyssee im Weltall, 1969) messen zu müssen. Ein ungleiches Duell. Auf der einen Seite ein Jahrhundertwerk, gewaltig und komplex in so ziemlich jeder Beziehung. Auf der anderen Seite ein nüchtern inszenierter 100-Minüter, der auf den ersten Blick spröde und minimalistisch wirkt. Doch Colossus hat seine eigenen wunderbaren Stärken.
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In beiden Filmen geht es um den Kampf Mensch gegen Computer. Nur mit etwas anderen Vorzeichen. Bis heute heißt es, in der Space Odyssey hätte der Schiffscomputer HAL 9000 eine Fehlfunktion und würde sich deswegen gegen die beiden Astronauten Bowman und Poole wenden. Der TV-Journalist und Filmfreund Hubert Maessen hat auf seiner Homepage mit guten Argumenten darauf hingewiesen, dass der Supercomputer vermutlich einwandfrei funktioniert. HAL, der mehr über die große Mission zum Jupiter weiß als jeder Mensch, testet vielmehr das Bordpersonal auf sein Vertrauen in ihn. Da die Menschen sich für zurechnungsfähiger halten als die Maschine und ihn abstellen wollen, fallen sie durch den Test. Aus Sicht der Maschine ist das Ausschalten des Fehlfaktors Mensch also logisch.

Wir werden sehen, dass Colossus eine ähnliche Entscheidung trifft. Nur haben wir es dann am Ende doch noch mit zwei unterschiedlichen Filmen zu tun. Während Kubrick von einer neuen Stufe der menschlichen Evolution erzählt, geht es in Colossus um die Versklavung der Menschheit. Es ist das rabenschwarze Gegenstück. Dunkle Science Fiction.

Die Mittel von Regisseur Joseph Sargent sind begrenzt. Doch diese Geradlinigkeit, die fast nichts Überflüssiges zulässt, passt eindeutig zum Thema. Und der Regisseur schafft dass, was die Bosse von Metro Goldwyn-Meyer ihren Drehbuchautoren schon immer verordneten: Mit einem Erdbeben beginnen – und dann langsam steigern.

Zu Beginn, bei der feierlichen Inbetriebnahme des Supercomputers, erfahren wir das Wesentliche. Man ist baff ob der Naivität, mit der die Menschheit die Kontrolle ihrer empfindlichsten Infrastrukturen in die Hände einer Maschine legt – ohne entscheidende Möglichkeit der Gegenkontrolle. Die Quittung folgt sofort. Erst ist es Colossus, der den amerikanischen Präsidenten über den sowjetischen Supercomputer informiert (und innerhalb weniger Minuten alle Geheimdienste doof aussehen lässt). Dann fordert er die sofortige Vereinigung mit ‚Guardien‘. Gemeinsam bemächtigen sie sich sämtlicher technisch überwachbarer Lebensbereiche. Und die Menschen stehen jedes mal verdattert vor ihren War-Room-Weltkartenbildschirmen und verstehen nicht, wie schnell ihnen die Künstliche Intelligenz das Heft des Handelns aus der Hand schlagen konnte.

Auf dem Weg zum Unhappy-End macht Sargent vieles richtig. Zum Beispiel ist es eine gute Entscheidung, dem Supercomputer am Anfang keine Stimme zu geben, sondern ihn nur via Schrift über Monitor kommunizieren zu lassen. Es ist gespenstisch, wenn Colossus Stück für Stück, von Minute zu Minute forscher und fordernder wird und seinen Schöpfern bei Ungehorsam mit ‚Konsequenzen‘ droht. Und auf die Frage, was für Konsequenzen er meine, einfach schweigt und der Monitor schwarz bleibt. Doch wenn man mit einer Maschine redet die Atomraketen abschießen kann, braucht man nicht lange zu raten.

Überhaupt scheint das Colossus-Guardien-Monstrum erstaunlich menschliche Züge zu entwickeln, die zum Schluss in einen Hang zu prosaischer Selbstherrlichkeit gipfeln. Es nimmt Charles Forbin in Festungshaft, sperrt ihn in eine mit Kameras vollgestopfte Wohnung. Es nennt sich die „Stimme der Einheit“, verlangt den Bau eines neuen, gigantischen Projektes, für das mal eben halb Zypern gesprengt werden soll. Und zum Schluss sieht Colossus es als seine ureigene Aufgabe an, den Frieden in der Welt zu sichern.
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Doch diese Wesenszüge sind am Ende nur logisch und plausibel. Genauso wie HAL 9000 weiß Colossus um seine Macht, die jede menschliche Leistungsfähigkeit unsagbar überragt. Die Wahrung des Friedens, also eines optimalen Zustandes der Welt, ist seine ureigene Aufgabe, der Sinn seiner Existenz. Und die aktuelle Weltlage ist der beste Beweis dafür, dass die Herrschaft der Menschen kein optimaler Zustand ist. Für eine Maschine ist es also plausibel, dass nicht sie von Menschen beherrscht werden darf, sondern andersrum. Es kann gar nicht anders sein.

Sargents Thriller verhandelt alte Probleme der Politischen Philosophie, die die Science Fiction unablässig weitersponn. Wollen die Menschen Freiheit oder Sicherheit? Sind sie bereit, das eine gegen das andere einzutauschen? Und welche Rolle spielt der technische Fortschritt dabei? (Viel zu selten kommt irgendjemand auf die Idee, dass wir hier nicht von einem Gegensatz reden, sondern von zwei gleichwertigen Gütern, die sich gegenseitig bedingen.)

Diesen Streit gibt es seit Thomas Hobbes‘ Leviathan, es gibt ihn in zahlreichen literarischen Fiktionen wie Jack Finneys The Body Snatchers (1954), die rekordverdächtige viermal verfilmt wurde. Es ist typisch dass solche Angsttheorien in Krisenzeiten ihre Anziehungskraft entwickeln (bei Hobbes war es der englische Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert, bei Finney der Kalte Krieg).

In der angelsächsischen Literatur ist es oft die Freiheit, die auf dem Spiel steht und implizit als wertvolleres Ideal dasteht als die Sicherheit. Das hat viel mit dem Anti-Kommunismus der damaligen Zeit zu tun. Doch selbst wenn man die Freiheit lieber hat als die Sicherheit, entbindet einen das nicht von der Frage nach Verantwortung. Die Frage danach, wie man Freiheit nutzt, wie sehr wir bereit sind, der Technik blind zu vertrauen, sei es aus Angst (wie damals) oder aus Angst und Bequemlichkeit (wie heute).

Und: Ob Menschen überhaupt in der Lage sind, ihre Freiheit nicht zu missbrauchen. Der Funke der menschlichen Entwicklung ist bei Kubrick nicht umsonst der Moment in dem ein Menschenaffe merkt, dass man mit einem Knochen den Nebenbuhler ums Futter totschlagen kann.

Es mag pervers klingen. Aber kann es so falsch sein, den tödlichen Streit der Welt in die Hände einer Maschine zu legen, die keine Gefühle kennt, keine Ideologie, keinen Fanatismus? Es klingt auf so grausame Art konsequent, wenn die sonore Computerstimme am Ende des Filmes resümmiert: „Von mir beherrscht zu werden, ist für euch Menschen nicht so schlimm, wie von euresgleichen beherrscht zu werden. Eure Wahl ist einfach."

Eine Rezension von Gordon Gernand
(23. Juni 2013)
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Daten zum Film
Colossus USA 1970
(Colossus - The Forbin Project)
Regie Joseph Sargent Drehbuch James Bridges (Script), D.F. Jones (Novel)
Produktion Kamera Gene Polito
Darsteller Eric Braeden, Susan Clark, Gordon Pinsent, Georg Stanford Brown
Länge 100 Min. FSK
Filmmusik Michel Colombier
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