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Avatar - Aufbruch nach Pandora

Avatar - Aufbruch nach Pandora

Ein Film von James Cameron

von Asokan Nirmalarajah

„I see you.“ So lautet nicht nur der von Leona Lewis gesungene, romantisch-verkitschte Titelsong, der über dem Abspann von James Camerons mit großer Spannung erwartetem, spektakulärem Science-Fiction-Action-Abenteuer-Epos Avatar (2009) zu hören ist. Es ist auch ein von den Hauptfiguren immer wieder geäußertes Leitmotiv, das den gesamten Film durchzieht. Diese ursprüngliche Begrüßungsformel der Na’vi, der außerirdischen Ureinwohner des fernen Planeten Pandora, auf dem – wenn auch der Film hierzulande den etwas irreführenden deutschen Untertitel Aufbruch nach Pandora trägt – fast die komplette Handlung von Camerons neuem Film spielt, kommuniziert die Bereitschaft, sowohl sein Gegenüber als auch dessen Sicht der Dinge zu verstehen und zu akzeptieren. Im Laufe des Films wird dann ersichtlich, dass diese Worte nicht nur für intergalaktische Verständigung (und Liebe) zwischen den Spezies Mensch und Na’vi stehen können, sondern auch implizit auf das ästhetische Programm des Films verweisen. Dessen selbsterklärte Ambition war es schließlich von Anfang an, dem Kinopublikum ein revolutionär neues Filmerlebnis zu liefern, uns eine neue Perspektive kinematografischer Möglichkeiten zu eröffnen, unter anderem mit dem Einsatz eines weiterentwickelten Motion Capture-Verfahren
s, 3D-Digital und speziell für den Film entworfenen Kameras. „I see you“ bedeutet hier also auch, die Welt durch James Cameron Augen sehen zu können. Bereits vor 15 Jahren vom früheren Sci-Fi-Kultregisseur und späteren Oscar-Titanen konzipiert, um dann aufgrund der noch nicht ausgereiften technischen Möglichkeiten erst einmal zurückgestellt zu werden, ging Avatar vor vier Jahren unter größter Geheimhaltung in die Produktion und kommt nun unter einem enormen Erwartungsdruck in die Kinos. Nach den eher verhaltenen Stimmen zum ersten Teaser schlug die Hysterie um den Film – angesichts seltsam blauer, schlaksiger Alienfiguren und generischer Videoclip-Ästhetik – gar um von der blinden Sehnsucht nach einem potentiellen Meisterwerk in die nervöse Panik vor einem kompletten Desaster. Das letzte Mal, das ein gefeierter Sci-Fi-Genre-Regisseur nach langer Abstinenz vom Regiestuhl wieder zu seinem Stammgenre zurückkehrte und mit einem vergleichbaren Hype konfrontiert wurde, war 1999 als George Lucas mit Star Wars – Episode I: The Phantom Menace einen höchst mittelprächtigen Film in die Kinos brachte. Avatar, der Film zum Cameron-Hype, hat zwar weniger ärgerliche Schwächen als jener Megahit, ist aber auch nicht viel origineller. Und das mag wohl die größte Enttäuschung sein von einem so intelligenten Filmemacher wie James Cameron.
Avatar - Aufbruch nach PandoraAvatar - Aufbruch nach PandoraAvatar - Aufbruch nach Pandora
Dabei beginnt doch alles so vielversprechend reflektiert, intelligent und mysteriös: In einer etwas abrupt geschnittenen, aber sehr dynamischen Anfangsmontage führt Cameron souverän seine interessante Hauptfigur ein, zeigt uns eine technologisch faszinierende neue Welt und führt gleich die spannenden Hauptmotive des Films ein. Nach den ersten fünf Minuten wissen wir bereits, dass es in Avatar um die Zwischenbereiche von Traum und Wirklichkeit, von Körper und Identität, von Natur und Technologie und um Momente der Geburt, des Todes und der Wiedergeburt gehen wird. Dass diese Themenkomplexe im Folgenden dann doch nicht so originell ausgeführt werden, ist dann schon etwas enttäuschend. Im Zentrum steht der sich gelegentlich aus dem Off-Kommentar zu Wort meldende Jake Sully (Sam Worthington), ein querschnittsgelähmter Marine, der als Soldat mehr Glück als Verstand hat. Als sein Zwillingsbruder, ein Wissenschaftler, bei einem Überfall stirbt, wird Jake beordert, dessen unverzichtbaren Platz in der menschlichen Besiedlung des Planeten Pandora einzunehmen. Im Jahr 2154 sind die natürlichen Ressourcen der Erde nämlich so gut wie ausgeschöpft und private Großkonzerne versuchen, fremde Planeten für ihre Zwecke auszuroden. Jake soll eigentlich der Wissenschaftlerin Grace (Sigourney Weaver) dabei helfen, die Einheimischen von Pandora zu studieren, indem er in den Körper eines Avatars schlüpft, einem Hybrid aus der DNA von Mensch und Na’vi, um Kontakt mit dem misstrauischen Volk der Na’vis aufzunehmen. Doch sein militärischer Vorgesetzter Colonel Quaritch (Stephen Lang) setzt ihn zugleich als Spion ein, um mehr über die strategischen Schwachstellen der Na’vis zu erfahren. Jake spielt mit, doch dann begegnet er der schönen Eingeborenen Neytiri (Zoe Saldana), die ihn in ihre komplexe Naturwelt und die naturverbundene Lebensphilosophie ihres Stammes einführt, und Jake damit von seiner eigentlichen Mission immer mehr abbringt…

Dass die Geschichte von Avatar verdächtig an frühere „Going native“-Filme wie etwa Lawrence of Arabia (1962), Dances with Wolves (1990) oder The Last Samurai (2003) erinnert, hat Cameron in den vielen Interviews, die er in den letzten Wochen zum Film gegeben hat, nie bestritten. Bei einem Film mit einem Produktionsbudget von angeblich 237 Millionen Dollar sei es nur verständlich, dass man auf bewährte narrative Versatzstücke zurückgreifen würde, um ein möglichst großes Publikum ("between 8 and 80", so Cameron) zu erreichen. Sein Augenmerk soll eher darauf gelegen haben, dem Publikum ein neues, einzigartiges Kinoerlebnis zu liefern, das den nächsten Schritt in der Evolution des Mediums signalisieren solle. Und das muss man ihm zugestehen, ist Cameron auch durchaus gelungen. Avatar ist tricktechnisch schlichtweg atemberaubend und visuell beeindruckend, führt den Zuschauer in eine phantastische, einzigartige Welt, die man in dieser Detailverliebtheit und Lebendigkeit wohl kaum anders hätte realisieren können. Die CGI-Figuren, die riesigen Na’vis und die verschiedenen Kreaturen, die Pandora bevölkern, sind allesamt makellos realisiert und ganze Welten entfernt von den ungelenken Bewegungen und starren, toten Augen, mit denen sich Robert Zemeckis noch in seinen ambitionierten Motion-Capture-Filmen The Polar Express (2004) und Beowulf (2007) zufrieden geben musste. Und Camerons Kamera ist endlich losgelöst von jeglichen externen Restriktionen und kann zu umwerfenden, rasanten Fahrten durch Schluchten und Wasserfälle ansetzen in einer Welt, die komplett aus dem Computer kommt. Zwar ist die 3D-Brille immer noch nicht besonders angenehm zu tragen, vor allem über die doch etwas langen 161 Minuten Laufzeit des Films, aber Avatar ist der wohl streitbar erste Film, der die 3D-Digital-Technik sinnvoll für dramaturgische Zwecke einzusetzen weiß, statt uns ständig mit fliegenden Objekten zu bombardieren. 3D-Digital macht zwar immer noch keinen Film wesentlich besser, zieht uns hier allerdings doch in ein intensiveres Kinoerlebnis hinein.
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Hat man sich allerdings erst einmal satt gesehen an der fernen, wenn auch nicht ganz so fremden Welt, in die uns Avatar für recht kurzweilige zweieinhalb Stunden entführt, und die Sauberkeit und Virtuosität der technischen Seite des Films anerkannt, dann – wie auch Cameron selbst wiederholt festgestellt hat – liegt es an der Handlung und den Figuren, den Film zu tragen. Obwohl Cameron mit seinen bisherigen Filmen – unter anderem The Terminator (1984), Aliens (1986), The Abyss (1989), Terminator 2: Judgment Day (1991) und Titanic (1997) – stets einen neuen tricktechnischen Standard setzten konnte, dienten die Aufmerksamkeit erregenden Effekte letztlich immer der Geschichte, die er erzählen wollte. So avancierten die Filme nicht nur aufgrund ihres zweifellosen visuellen Schauwerts zu Kassenhits und auch zu Kultfilmen ihres jeweiligen Genres, es waren stets die kraftvollen Hauptfiguren und ihre in packenden, mittlerweile legendären Actionszenen eingebetteten Schicksale, die Camerons Ruhm begründeten. Auch Avatar markiert einen neuen tricktechnischen Höhepunkt, ist aber in jeder anderen Hinsicht ein ungewohnt konventionelles, routiniertes und überraschend einfallsarmes Weltraumabenteuer mit schablonenhaften Figuren und abgegriffenen Themen und Konflikten. Diese eigentlich Cameron-typischen Schwächen konnten früher auch einem weit sentimentaleren Unterseeabenteuer wie The Abyss (1989) nichts anhaben, waren die Schauspieler doch in der Lage, ihre Figuren mit genug Eigenleben auszustatten, und wusste Cameron doch, wie er ihre phantastische Reise in fremde Welten und in ihr eigenes Inneres interessant genug zu gestalten hat. Doch Avatar (2009), so unterhaltsam und dynamisch der Film auch gelegentlich sein mag, bleibt im Vergleich blass, oberflächlich und wenig aufregend.
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In anderen Kritiken wird man wiederholt zu lesen bekommen, dass Cameron mit Avatar einen Film für 14jährige Jungs gedreht habe, so wie auch damals versucht wurde, die Kritikpunkte an The Phantom Menace damit zu entkräften, dass der Film für leicht zu beeindruckende Kinder und nicht für Erwachsene gemacht sei. Von solchen unsinnigen Klassifizierungen unbeeindruckt, muss man bei Camerons Film feststellen, dass die so beeindruckende Technik des Films einer komplett berechenbaren Handlung dient, die zu wenig variiert wird, um besonders heraus zu stechen. Damit stellt sich auch die Frage, warum man sich in die Unkosten geworfen hat, eine komplett computeranimierte Welt zu schaffen, wenn man dieselbe „John Smith trifft auf Pocahontas“-Geschichte ebenso gut auch mit Indianer-Darstellern in den Wäldern Nordamerikas hätte drehen können. Das Dreadlocks-artig frisierte Naturvolk der Na’vis erinnert nämlich nicht selten an einen Indianerstamm gekreuzt mit afrikanischen und südamerikanischen Riten und Praktiken. Und es ist auch kein Zufall, dass der Häuptling von dem auf Indianerrollen abonnierten Cherokee-Mimen Wes Studi und dessen Frau und Tochter von den Afro-Amerikanerinnen CCH Pounder und Zoe Saldana gespielt werden. Die Liebesgeschichte zwischen Mensch und Na’vi, zwischen Jake und Neytiri kann leider auch nicht wirklich überzeugen, während Nebendarsteller wie Stephen Lang, Sigourney Weaver und Giovanni Ribisi als schmieriger Konzernvertreter sich mit großem Elan in ihre einseitigen Figuren werfen, aber vom Skript nicht mit genügend Material versorgt werden. Camerons Mut zu langsameren Passagen ist lobenswert, macht die Geschichte allerdings auch nicht lebendiger. All das kulminiert dann erwartungsgemäß in einer gigantischen, visuell überwältigenden Schlacht, bei der die Grenzen zwischen guten und schlechten Figuren so klar gezogen und dessen Ende so klar vorgezeichnet ist, dass man nicht wirklich mitgerissen ist von der ganzen Effekthascherei.

Es ist diese enttäuschend biedere Konventionalität, ermüdende Berechenbarkeit und reizlose Routiniertheit, die man von einem Cameron-Film so eigentlich nicht erwarten würde. Seine früheren Filme waren nicht gerade gewagte narrative Experimente, aber doch in Sachen Stimmung, Action und Dramaturgie perfekt abgestimmte kommerzielle Unterhaltungsmaschinen. War Titanic schon bieder genug für eine seichte Love-Story eingebettet in einem imposanten Katastrophenfilm, dann mag man als Zuschauer die Abgegriffenheit von Avatar, der eine schwache Love-Story in ein recht imposantes Sci-Fi-Action-Abenteuer packt, wohl zugunsten des visuellen Schauwerts hinnehmen. Das macht ihn aber auch zu keinem guten Film, egal ob nun Cameron drauf steht oder nicht.

Eine Rezension von Asokan Nirmalarajah
(12. Dezember 2009)
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Daten zum Film
Avatar - Aufbruch nach Pandora USA 2009
(Avatar)
Regie James Cameron Drehbuch James Cameron
Produktion 20th Century Fox Kamera Mauro Fiore, Vince Pace
Darsteller Sam Worthington, Zoe Saldana, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Michelle Rodriguez, Giovanni Ribisi, CCH Pounder, Joel David Moore, Wes Studi, Dileep Rao
Länge 161 FSK 6
http://www.avatarmovie.com/
Filmmusik James Horner
Kommentare zu dieser Kritik
Flo TEAM sagte am 12.12.2009 um 10:12 Uhr

Ich versuche es kurz zu halten:

Visuell hält Cameron alles, was er versprochen hatte: Schlichtweg ein Meilenstein, der einem bereits in den ersten Minuten die Kinnlade herunterklappen lässt, die dann auch den Rest des Filmes dort verweilt. Ein besseres Argument Rapidshare Rapidshare sein zu lassen und wieder ins (3D)Kino zu gehen, gibt es momentan schlichtweg nicht - Camerons Film wird diesbezüglich revolutionäre Wirkung haben, da bin ich ganz sicher. Der Plot hingegen ist funktional - Pocahontas auf Pandora trifft es ganz gut - ohne dabei wirklich zum unerträglich penetranten Öko-Kitsch zu mutieren. Tatsächlich ist die Geschichte aber bei solchen Bildern (fast) egal. Nach den schwachen 2D-Trailern lässt einen das Endprodukt ungläubig staunend im Kinosessel zurück. Pressevorführung hin oder her: Ich werde ihn sicher ein zweites Mal ansehen.

Noch ein paar Punkte zum Plot: Wenn ich Avatar mit Blompkamps dramaturgisch schwachbrüstigen Südafrika-Science-Fiction District 9 vergleiche - für das du übrigens ebenso 3 Sterne vergeben hast-, dann spielt Cameron trotz "Going Native"-Reminiszenzen in einer völlig anderen Liga. Das Spiel mit den Wirklichkeiten (Traum und Wachphase) ist unglaublich raffiniert gelöst und obendrein haben wir hier mit Jake eine Hauptfigur, die durch ihre Behinderung ein nachvollziehbares Motiv hat. Es ist einfach absolut stimmig in dieser brillanten Optik mit anzusehen, wie Jake nach und nach seine Lebensfreude wiedergewinnt. Was Avatar darüber hinaus aber fehlt, sind die wirklich spannenden Nebenfiguren, die bis zu großen Namen wie Sigourney Weaver sehr fahrig skizziert sind.

Dennoch: Der Film ist visuell atemberaubend. Wie du schon angesprochen hattest, liegt es am Zuschauer, wie viel er dem an Gewicht beimisst. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind das das Kino neu entdeckt und konnte mich auch nicht an den, auch konzeptionell, unglaublich tollen Szenarien satt sehen. Und dass die Zielgruppe solch ekstatischer Bilder vor allem der 13-jährige Actionkonsument sein soll, kann ich nicht unterschreiben. Sie haben auch in der PV bei nicht mehr adoleszenten, abgebrühten Journlisten hervorragend funktioniert. :-)
Asokan TEAM sagte am 12.12.2009 um 10:49 Uhr

Das Spiel mit den Wirklichkeiten, mit Na'vi-"Traum" und Menschen-"Realität" ist wirklich eines der interessanteren Aspekte des Films, wenn auch letztlich nicht so konsequent oder originell umgesetzt wie es der Anfang des Films vermuten ließ. Auch die Biologisierung und Romantisierung virtueller Plugin-Möglichkeiten der Na'vis (á la Cronenbergs EXISTENZ), die sich mit ihren Körpern an verschiedene Kreaturen "pluggen" und diese dann mental kontrollieren können, und wie schließlich alle Lebewesen des Planeten zusammenlaufen zu einem mystischen Netzwerk im Herzen des Planeten ist ne nette Idee. Und für waschechte Internetfreaks natürlich eine weitere Bestätigung ihrer Lebensphilosophie wie damals schon Neos Messias-"Phantasien" in THE MATRIX.
Flo TEAM sagte am 12.12.2009 um 10:59 Uhr

Ich gebe dir recht, dass vor allem die Triade von Identität, Traum und Wirklichkeit deutlich hätte ausgebaut werden können (müssen?). Der These, Internetfreaks würden zu einer kosmologischen Lebensphilosophie tendieren, muss ich als Freund postmoderner Gedankengänge aber natürlich vehement widersprechen. Das war für mich nur ein weiterer Baustein der Mythologisierung der Na'vi-Lebensform - zumal der moderne Mensch WIRELESS durchs Internet surft. ;-) Aber in Punkto Stilisierung hat Cameron tatsächlich kein Klischee ausgelassen und mal schnell ein popkulturelles Patchwork-Wesen erschaffen. Ich finde übrigens immer noch, die Na'vi sind für Interfreaks vor allem deshalb interessant, weil man sie gut und gerne als Interim-Rasse in World of Warcraft verwenden könnte, wollten die Nachtelfen mal Urlaub machen.
the flower tao sagte am 12.12.2009 um 14:41 Uhr

Das heisst also im Klartext: Wenn ich mich bei jedem DANCES WITH WOLVES- oder LAST SAMURAI-Durchgang immer wieder von der schlichten Going Native-Dramaturgie mitreissen lassen kann - und das ist der Fall (am Ethno-Kitsch im Mittelteil von LAST SAMURAI kann ich mich kaum genug sattsehen) - dann muss mir AVATAR zwangsläufig gefallen? Ich habe so richtig Lust, nächsten Donnerstag mit zu hypen! :D
Asokan TEAM sagte am 12.12.2009 um 15:12 Uhr

Die Sache ist halt die: Ich war selbst noch bei dem bereits sehr abgegriffenen LAST SAMURAI noch mitgerissen von den überaus noblen, liebenswerten "Natives", den satten, kraftvollen Bildern und der pathetischen Hans-Zimmer-Musik. AVATAR hat dieselbe Dramaturgie, nur nicht so viel Pathos und verlagert halt das Ganze auf einen fremden Planeten. Der Ethno-Kitsch wird hier also zu einer Art Alien-Kitsch. Wem's gefällt... doch so emotional bewegend wie die zugegebenermaßen einfältigen Selbstfindungstrips der Amerikaner Costner und Cruise ist AVATAR dann doch nicht. Dafür sind die Figuren nicht stark genug entwickelt. Der beste Going-Native-Film bleibt m.E. sowieso LAWRENCE OF ARABIA.
Flo TEAM sagte am 12.12.2009 um 15:19 Uhr

Nicht zwangsläufig. Beide genannten Referenzen bedienen sich ihres Sujets subtiler als Avatar das tut. Die "Magie" springt aber über, zumal der Switch zwischen den Welten - und die allmähliche Annäherung durch das Avatar-Konstrukt - formal durchaus innovativ gelöst ist und als Science-Fiction-Thema alleine durch diesen Kniff gut funktioniert. In diesem Sinne finde ich das Argument, man hätte das Ganze genauso gut in die Wälder Nordamerikas verlegen können, nur auf referentieller Ebene plausibel. Allerdings hätte man es dann genauso gut ins Warcraft-Universum oder in den fernen Osten verlegen können, was an einem Cameron-Film argumentativ etwas vorbeigeht. Titanic funktionierte schließlich auch trotz klassischer Liebe-Überschreitet-Klassengrenzen-Geschichte, während Terminator den Endzeit-Thriller nicht neu erschaffen hat. Und auf der besagten formalen Ebene - nämlich in der Verschiebung von Zeit, Körper und Raum - ist auch Avatar durchaus innovativ. Und inszenatorisch kann man Cameron einfach nichts ankreiden.
the flower tao sagte am 12.12.2009 um 15:44 Uhr

Verstehe ich das richtig und du gestehst LAST SAMURAI hier Subtilität zu? Wie Cruise da durch das Dorf schwadroniert und im Off herumschwärmt, dass hier jeder nach Perfektion strebt, im Einklang mit seiner Umwelt lebt und es keine Sinnentleerung wie in den guten USofA gibt - das ist erlesener Vorschlaghammer-Metatext. Plakativer kann AVATAR unmöglich sein!
Asokan TEAM sagte am 12.12.2009 um 15:53 Uhr

Ich glaub darin liegt auch der Knackpunkt: Bei vielen Kritikern scheint die "Magie" gewirkt zu haben, wenn man nach den fast ausschließlich positiven Kritiken der US-Presse geht. Ich selbst war nie wirklich involviert genug, um über die abgegriffenen Elemente des Films hinwegzuschauen.

Ich versuch den Film auch nicht schlechter zu machen als er ist. Er ist solide inszeniert, langweilt nicht, aber das hat mir nicht gereicht. Aber vielleicht ist das auch nur mein Problem: viele der durch die Bank weg frenetisch gefeierten Filme des Jahres - etwa DISTRICT 9, INGLOURIOUS BASTERDS, DRAG ME TO HELL, ZOMBIELAND - ließen mich eher kalt. Wohingegen ich UP und A SERIOUS MAN für die zwei besten Filme des Jahres halte. Go figure! :-D

Ich halte aber an der Feststellung fest, dass es nicht viel Sinn macht, einen Film auf einem fremden Planeten spielen zu lassen, auf dem die Hauptfigur auf ein pferdähnliches Tier steigt, das Reiten übt und dann später davon aus dem Off spricht, es sei so als ob man ein Pferd reiten würde. Warum dann nicht gleich ein Pferd benutzen? Und mir kam AVATAR zeitweise auch so vor, als würde er in einem Videospiel-Universum spielen. Es gibt einfach keinen triftigen Grund, den Film auf Pandora spielen zu lassen, wenn man sowieso nur den Ethnizitätsdiskurs anderer Going-Native-Filme reproduziert - außer vielleicht hängende Gebirge zeigen zu können. Und erinnert nicht die Szene, in der sich die schwebenden "spirits" auf Jakes Avatar versammeln an eine Szene aus dem Disney-Film POCAHONTAS, in dem es stattdessen die Blätter eines personifizierten Baumgeistes waren? Where's the difference?

TITANIC "funktionierte" wohl gerade wegen der abgedroschenen Love-Story, obwohl ich mit dem Film mittlerweile auch nichts mehr anzufangen weiß. TERMINATOR hat den Endzeit-Thriller vielleicht nicht erfunden, aber doch sehr clever und reizvoll variiert. Und in dem Film waren selbst die Nebendarsteller erinnernswert, wie etwa Dick Miller als Waffenladenbesitzer oder Bill Paxton als Punk #1. :-)

@flower tao: Oh doch! AVATAR ist genauso plakativ, samt Off-Kommentar, nur halt ohne sentimentaler Hans-Zimmer-Musik. (Was schade ist. ;-) )
Flo TEAM sagte am 12.12.2009 um 16:06 Uhr

Du meinst, man hätte den Body-Switch auch schlicht über das Interface Medizinmann modellieren können und hätte dazu nicht das Science-Fiction-Motiv des Avatars gebraucht? Mein Argument war ja gerade, dass das die Variation klassischen Stoffes im SF-Gewand ausmacht. Und vielmehr waren Cameron-SF-Streifen eigentlich nie.

Die Pocahontas-referenz wre mir jetzt nicht aufgefallen. Vielmehr haben aber die Cameronschen Tauchgänge auf Pandora Einzu gehalten: quallenartige Seelenbaumsamen, leuchtende Korallenpilze und tiefseeartiges Kreaturendesign. Und das war einfach optisch ungemein faszinierend, da Pandora tatsächlich nicht für den Wilden Westen im Weltraum steht, sondern ein Desiderat von Symboliken ist, die einen Bilderrausch erzeugen. DAS würde ich auch nach wie vor als die Stärke von Avatar herausstellen wollen.

Dass der Plot sich diesem Patchwork-Konzept fügt, ist leider an vielen Stellen etwas unglücklich, aber nicht unbedingt destruktiv für die Wirkung des Films. Tatsächlich lasse ich aber in dieser symbolischen Motivhaftigkeit nichts über PARNASSUS kommen, denn Avatar ist natürlich zu keinem Zeitpunkt so popkulturell diversifizierend. Sehr wohl ist und bleibt Pandora aber ein Konglomerat von filmischen (Kindheits)erinnerungen und provoziert einen ungeheuren Entdeckerdrang aus dem Kinosessel heraus.
the flower tao sagte am 12.12.2009 um 16:11 Uhr

Ach, wie dem auch sei... Going Native-Stories sind einfach die schönste Variante auf den Heilungsprozess versehrter Männlichkeit. ;) Diesen behinderten, lebensmüden, saufenden, desillusionierten Archetypen des depotenzierten Mannes gönne ich die Wiederaufrichtung via Ethno-Tauchgang einfach immer wieder. Und das darf dann auch kitschig sein! Es muss ja nicht alles immer nur dekonstruiert werden. ;)
Asokan TEAM sagte am 12.12.2009 um 16:22 Uhr

Über den Medizinmann oder halt wie in den bisherigen Filmen durch simple Kostümierung: Man erinnere sich an etwa an der poetischen Liebes- und Ankleidungsszene aus LAST SAMURAI, mit der Cruise zum Samurai wird, oder Peter O'Toole, der in seinem neuen weißen Gewand wie ein Model im Sand auf- und abgeht in LAWRENCE OF ARABIA.

Nichts gegen klassischem Stoff im SF-Gewand, ist immer gerne gesehen, konnte mich in diesem Fall aber nicht überzeugen. Und was Du über Flora und Fauna Pandoras und über den (anfänglichen) Bilderrausch des Films gesagt hast, unterschreib ich sofort. Ob der Plot dem Film so sehr schadet oder nicht ist dann wohl wieder Ansichtssache.

"Going Native-Stories sind einfach die schönste Variante auf den Heilungsprozess versehrter Männlichkeit. ;) Diesen behinderten, lebensmüden, saufenden, desillusionierten Archetypen des depotenzierten Mannes gönne ich die Wiederaufrichtung via Ethno-Tauchgang einfach immer wieder. Und das darf dann auch kitschig sein!" Amen!!!!

"Es muss ja nicht alles immer nur dekonstruiert werden. ;)" Naja, Dekonstruktion schmälert nicht unbedingt das sentimentale Vergnügen solcher Geschichten, auch wenn es sich bei AVATAR - zumindest für mich - nicht einstellen wollte.
Damocles TEAM sagte am 13.01.2010 um 22:19 Uhr

c&p aus einem anderen Forum:

Also, Pandora besucht.
Schwierig. Sehr schwierig.

Meistens kann ich mich den allgemeinen Meinungen dazu anschließen. Technisch ist das ganze absolut fantastisch. Bei keinem einzigen Effekt hab ich gesagt: Hey, das ist aus dem Computer. Also das man es erkennt. Absolut herausragend.
Damit verbunden: die Action. Ebenfalls grandios, Cameron delivers. Fetzige, moderne CGI-Action mit virtueller Kamera, aber man sieht tatsächlich was passietrt! Kein CGI-Blob der gegen einen CGI-Wisch kämpft, schöne Grüße Richtung Transformers 2.

Kommen wir zum Inhalt: ein extrem zweischneidiges Schwert. Ich hab ja storytechnisch wenig erwartet. Pocahontas im Weltall halt. Das kam dann auch so ungefähr, mit allen Vor- und Nachteilen.
Vorteile: durch die bekannte Geschichte, die Überzeichnung, die Schwarz-Weiß Malerei etc muss man sich keine Gedanken darüber machen, kann ganz drin versinken und wird szenenweise tatsächlich berührt.
Ebenso schön ist der gewisse Spaßfaktor, der böse General war unterhaltsam und ein netter Bösewicht. Grandios waren einige Szenen gegen Ende, ganz hervorragend fand ich
SPOILER
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als die Navidame (Name hab ich nicht behalten ...) Jake als Menschen in den Armen hält und ihm eine Maske aufsetzt. Wahnsinnig einfühlsame Szene, toll!
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SPOILER ENDE

Aber dann sind wir schon bei den Cons:
Cameron bedient im Showdown, der finalen Schlacht, natürlich so ziemlich jedes Actionklischee der letzten 30 Jahre, und ironisiert das ganze nichtmal. Bla. Fürchterlich, vorhersehbar, da hätte ich mehr erwartet. Natürlich kommt der Deus Ex Machina, natürlich passiert dann noch dies und jenes, etc pp
Inszenatorisch ebenso grauenhaft: nicht nur schrammelt Cameron manchmal an der Ethnokitschgrenzen entlang, szenenweise überspringt er sie munter mit voller Lotte und streut noch ne Riesenportion Zucker drüber. Brrrr.
Was mich aber an meistem gestört hat, dafür werd ich jetzt wieder virtuelle Hiebe einstecken müssen: der berühmte Subtext, dessen Keule ich nun schwingen werde. Einige wissen ja vielleicht, dass ich momentan Zulassungsarbeit über Behinderung in Spielfilmen schreib, und Avatar ist zumindest in diesem Bereich ein absolutes Beispiel wie man es nicht machen soll, ein No-Go. Behinderung erscheint hier nicht als lebenswertes Leben, was durch das Ende noch verstärkt wird. Wäre der Film nach meinem obigen Spoiler geendet, wäre das ganz hervorragend gewesen, aber so ist es leider gruselig - von meinem Standpunkt aus. Dazu halt noch Klischees wie dass der Böse unbedingt äußerlich verunstaltet sein muss (ein verdrehter Geist in einem verdrehten Körper) usw usf. Naja.
Abzüge in der B-Note gibts noch für anderen Holzhammersubtext (Terror-Allegorie, ACHTUNG-NATUR-ÖKO-HIPPIES und so), aber das lässt sich unter Kitsch und Pathos verbuchen

Was bleibt? Schwierig wie gesagt. Rein vom Entertainment-Value spitze, 3 Stunden sind verflogen. Technisch der Wahnsinn in Tüten, inhaltlich sehr mediocre und generic bis zum ärgerlichen Subtext. Von daher kann ich mich nicht auf ne Sternchenwertung festlegen. Vielleicht mal ne Nacht drüber schlafen.

Ach und zum Thema 3D: Wie immer Gimmick, nicht mehr.
Damocles TEAM sagte am 13.01.2010 um 22:25 Uhr

Nachtrag:

was mir gerade noch spontan kam: Das Motiv "Ich sehe dich" ist aber grandios in den Film eingewoben, wo es noch nichtmal wörtlich etabliert wurde. Großes Tennis, Herr Cameron!
und wenn ich darüber gerade nochmal weiter nachdenke, gibt das zumindest in der menschlichen Gesellschaft dem Thema Behinderung noch eine neue, sehr kritische Konnotation. Das reißt das Ende aber auch nicht raus.
Zombie-mower TEAM sagte am 20.02.2010 um 21:05 Uhr

hm, also ich bin des größtenteils geistig überbordenden Zugangs zu AVATAR, der hier betrieben wird, etwas überdrüssig;

Menschen gehen ins Kino, um sich zu zerstreuen, unterhalten und im besten Fall auch zum Nachdenken angeregt zu werden; alles sehr emotionale Bedürfnisse;

und Cameron bedient diese Bedürfnisse auf einer sehr hohen und eleganten Ebene. Verstehe nicht warum z.B. die visuell-ästhetische Wucht und die inszenatorischen wie narrativen Raffinessen von AVATAR hier unter den Tisch fallen.

Und die wichtigen Hauptmotive des Films: Verantwortung übernehmen gegenüber der Umwelt und dem Planeten Erde (Pandora ist ja nur ein Synonym zu unserer realen Welt, nur in einem noch unverschandelten Urzustand), Kritik am Terror, der nicht von einer Minderheit (muslimische radiakalen), sondern eben von einer empiralistischen Großmacht primär ausgeht - konkret die USA, und das Streben nach Individualität und Selbstverwirklichung, das Ausbrechen aus einem repressiven System - das sind wirklich wichtige, essentielle Leitmotive des Films

und Cameron gibt einfach viel mehr - ja, AVATAR enthält Zitate aus 30 Jahre Filmgeschichte (samt Eigenzitate wie der Colonel, der die Übermenschlichkeit und Unzerstörtheit eines Terminators besitzt, oder die Kampfroboter, die unstreitbare Ähnlichkeit mit dem Roboter aus Aliens aufweist, die von Flo erwähnten Quallen alá "The Abyss"); der Film enthält viele Versatzstücke - doch im positiven Sinne - sie sind sehr liebevoll und akribisch in die Handlung eingebaut und das Ganze funktioniert, hat eine Seele!

Ich sehe an dem Film nix plumpes oder routiniertes - er ist sehr originell, welcher Film heutzutage schafft schon eine komplett souveräne Neuartigkeit, unabhängig von dem über 100 Jahre alten filmgeschichtlichen Erbe.
AVATAR bewegt den Zuschauer, saugt diesen Tief in eine sehr schöne Welt ein, zeigt aber auch die Gefahren des urmenschlichen Eroberungs- und Beherrschtriebs!
Cameron transportiert viele menschliche Botschaften - Respekt, Liebe und Verbundenheit mit der Umwelt; das kann man ihm nicht hoch genug anrechnen;

und ja, die Kamerafahrten und der Schnitt sind auf so hohem Niveau, da ist ein Erwähnen von AVATAR und der plumpe, nun wirklich mtv-clip-geschädigte Transporters hinfällig

AVATAR ist ein definitives Meisterwerk!
Asokan TEAM sagte am 21.02.2010 um 13:57 Uhr

Zunächst einmal finde ich es gut, dass Dir der Film gefallen hat. Und wenn man sich so die Einspielergebnisse anschaut, bist Du ja auch nicht der einzige Zuschauer, der so denkt.

Zu einem "geistig überbordenden Zugang" lädt eigentlich jeder Film als ein kultureller Text mit vielen in sich gebündelten Diskursen ein, und ein recht abgeklärter Film wie AVATAR umso mehr. Was ihm meiner Meinung nach anzukreiden wäre ist, dass er nicht viel mit seinen Ideen anzufangen weiß.

Ich finde aber interessant, wie oft Du davon sprichst, wie Dich der Film emotional mitgenommen hast. Gerade das hat mir nämlich gefehlt. Und das ist wohl auch das Einzige, was ihn von einem ebenso abgegriffenen, aber weit bewegenderen Film wie THE LAST SAMURAI unterscheidet. Der hatte für mich eine Seele, bei AVATAR wirkt alles weit steriler und konstruierter. Wahrscheinlich weil ich die Na'vis nicht ernst nehmen konnte.

Ich habe versucht auf die Schauwerte des Films in der Kritik hinzuweisen, aber die waren mir im Vergleich zu der schwachen Handlung und den blassen Figuren einfach nicht so wichtig. Und auch gegen Zitatenkino habe ich prinzipiell nichts, nur man muss auch was Neues mit den Zitaten machen, nicht einfach aneinanderreihen. Die Öko-Story ist natürlich schön und nett und durchaus zu begrüßen, aber ist das ganze nicht ziemlich plump umgesetzt? Das böse, repressive militärische/industrielle System versus die erdverbundenen, friedlebenden Natives, äh ich mein, die Na'vis? Was ist denn daran originell oder erhebend oder erhellend?

Ein Meisterwerk? Au contraire!
Zombie-mower TEAM sagte am 21.02.2010 um 16:17 Uhr

ein erfahrener Pragmatiker hat in einer Vorlesung am Institut für Filmwissenschaft übers Filmemachen gesagt: "Es gibt heutzutage keine Geschichte, die nicht schon einmal erzählt worden ist! Der Unterschied bei heutigen Filmen ist die Mischung der Zutaten und die andersartige Erzählweise, bzw der eigene Zugang."

Das find ich passt sehr gut auf AVATAR - er bedient sehr viele bekannte Erzählmuster und birgt viele Aussagen, die Filmemacher schon vor ihm getätigt haben.

Ich find, dass zum Beispiel der japanische Visionär Hayao Miyazaki bereits vor 25 Jahren mit "Nausicaä" genau dieselbe Thematik von der Zerstörung eines Planeten und den Kampf einiger weniger Idealisten dagegen sehr originell und mit fantastischem Einfallsreichtum inszeniert hat - nämlich als einen Anime.
Und Cameron entlehnt viele Aussagen und Herangehensweisen aus dem Film. Ich weiß nicht, ob er Nausicaä vorher gekannt hat.

Dennoch, das macht nix, denn wie Cameron seine Version inszeniert hat, bleibt einmalig und vorher so nicht dagewesen, das muss man ihm lassen.
Und wie geschrieben, er versteht sich darauf, sehr viele Elemente Hand in Hand gehen zu lassen: die Sensationalität und der Unterhaltungswert eines Mainstream-Hollywood-Films, mit ausgereifter neuartiger Technik, trifft auf zeitgenössisch-kritische Aussagen und Appelle auf Frieden und Respekt vor anderen Völkern und Lebensweisen.
Welche Filme mit derartigem aufgeblähtem Produktionsstandard (insbesondere aus Amerika) vermögen das schon zu erreichen?

Und Asokan, vielleicht ärgerts dich am Schluss des Films am meisten, dass dir nach den drei Stunden "Filmgenuss" die Nase von der klobigen 3D-Brille geschmerzt hat ;-)

(für mich war das 3D-Erlebnis übrigens sowas von belanglos)

ach ja, und noch zum Thema Zitatenkino: war der Anfang von Avatar nicht so eine Mischung von "Soldat James Ryan" und "Starship Troopers"? Diese Ähnlichkeit zu den beiden Filmen bei der Landung der Soldaten auf dem Planeten Pandora ist mir sehr aufgefallen; wunderbar ironisch gebrochen durch den Umstand, dass der Held in einem Rollstuhl angerollt kam - loved it!!!
Flo TEAM sagte am 21.02.2010 um 16:46 Uhr

Ich empfand übrigens nach dem dritten Sehen vor allem auch die völlig überraschungsarme Inszenierung als einen herben Kritikpunkt. Bei Cameron muss man das fast als Blasiertheit werten, dass der Aufbau so erwartbar wie routiniert ist. Das macht Avatar zu einem durchestylten Filmprodukt, das tatsächlich - im negativen Sinne - ohne Ecken und Kanten ist.

Übrigens würde ich vehement gegen die Meinung oppositionieren, das alles bereits in der einen oder anderen Form erzählt sei. Es gehört gerade zum kreativen Filmhandwerk in den eigenen Sinngehalten - seien es inhaltliche oder formelle - Lücken auszumachen. Das unterscheidet letztlich FilmKUNST von FilmKULTUR. Wie stark das kulturelle Motiv in seiner redundanten Wirkung ist zeigen Filmemacher, die sich konsequent dagegen stellen - sei es nun Jarmusch, Lynch oder Aronofsky. Von Werner Herzog ganz zu schweigen. Visionär ist Avatar ausschließlich seiner Technik, die Cameron natürlich sehr clever vermarktet hat. Tatsächlich hat dieser Aspekt für mich gereicht, um gleich dreimal (einmal PV) ins Kino zu dackeln. Mit etwas Distanz sehe ich das Ganze nun aber etwas nüchterner.
Asokan TEAM sagte am 21.02.2010 um 16:53 Uhr

Es muss ja nicht jeder Film das Rad neu erfinden - obwohl ja gerade AVATAR zumindest in (trick)technischer Hinsicht genau mit diesem Ziel an den Start gegangen ist. Meine zwei Favoriten vom letzten Jahr - UP und A SERIOUS MAN - lassen sich auch mehr oder weniger auf altbewährte Narrative runterbrechen (Vater-Sohn-Abenteuerfilm bzw. Midlife-Crisis-Komödie), sind allerdings um Längen besser geschrieben, gespielt und inszeniert und auch weit bewegender als AVATAR.

Ich kann verstehen, warum man AVATAR ganz toll finden kann. Meine Güte, er ist nicht ohne Grund der erfolgreichste Film aller Zeiten geworden! Ich tue es nicht, weil für mich seine Schwächen überwiegen und mich der Film relativ kalt ließ.

Die Referenz auf Hayao Miyazaki ist natürlich sehr gut, weil er das AVATAR-Programm in den meisten seiner Filme durchspielt, egal ob nun PRINCESS MONONOKE, SPIRITED AWAY oder seine letzter Film PONYO. Keine Ahnung, ob Cameron sich davon inspirieren ließ, aber die Thematik findet sich ja auch schon bei der historischen Geschichte von Pocahontas und ist ein klassisches Motiv. AVATARs Appelle für den Frieden und für kulturellen (hier: intergalaktischen) Austausch sind ja ganz nett, aber doch auch was dick aufgetragen und besonders massentauglich und politisch korrekt verpackt, no? Die eigene Regierung zu kritisieren ist schon längst zum amerikanischen Volkssport geworden. Da ist AVATAR nicht so subversiv.

Ob der Anfang ein direktes Zitat auf die von Dir erwähnten Filme war, wage ich mal zu bezweifeln (fängt nicht jeder Soldatenfilm mit der Landung der Soldaten im fremden Terrain an?). Aber die unbedeutende Position, die der Held am Anfang des Films hat, kommt visuell natürlich toll zum Ausdruck durch die riesigen Maschinen, die an dem kleinen Mann im Rollstuhl vorbeifahren.

Und ja, die klobige 3D-Brille war nicht wirklich angenehm. Habe sie sogar ein-, zweimal runtergenommen und verlor dabei nicht unbedingt an Sehgenuss. Das machte die Story aber auch nicht besser. ;-)
HorstTheHorse sagte am 24.03.2010 um 20:14 Uhr

James Cameron hat leider vergessen, das Schlumpfine blond ist und Gargamel Schlupfhausen nicht in einem Fluggerät heimsucht. Nein im ernst, Avatar war ganz solides und mit 3D Technik unterhaltsames Action-Abenteuerkino, mehr nicht. Ich bin schon froh dass die Oscars pro Tödliches Kommando ausgefallen sind. Cameron hat ja schon bei Titanic mit einem höchst mäßigen bis schlechten Film groß abgeräumt. Tödliches Kommando war zumindest Kino mit Substanz, auch wenn ich ihn nicht wirklich so herausragend finde wie wohl manch anderer. Avatar ist doch eher was für Kinder, ich kann ihm insofern keinen Vorwurf machen, mir ging es bei Star Wars ja ähnlich:)
travisbickle TEAM sagte am 04.05.2010 um 13:17 Uhr

Gestern hab ich mir AVATAR angeschaut und jetzt weiß ich auch, dass der Triumph von K. Bigelow und ihrem HURT LOCKER über Ex-Ehepartner Cameron bei der Oscarvergabe verdient war.

Zwar würde ich für meine Bewertung noch einen Stern hochgehen, doch im Großen und Ganzen hat der Kollege Asokan recht. AVATAR ist tatsächlich ein tricktechnischer Meilenstein, bei dem man 155 Minuten lang staunend auf den Bildschirm starrt. Der Einsatz der neuartigen 3D-Fusion-Kamera verspricht ein hautnahes Filmerlebnis gleich einer Tour im Erlebnispark. Die Story dagegen ist enttäuschend dünn. Ein Konglomerat aus Elementen verschiedenster Hollywood-Produktionen, reizvoll verarbeitet, aber nichts dabei, was man nicht irgendwo schon mal (besser) gesehen hätte. Besonders der rote Faden der Handlung mit der Annäherung des Ex-Marines Jake an das scheue Volk der Na`vi wartet mit keinerlei Überraschungen auf. Dafür ist der Lebensraum der Na`vis und auch deren Erscheinung, Mimik, Sprache usw. sehr faszinierend und detailreich umgesetzt. Dennoch: Das Tamtam um AVATAR kann ich auch NACH Begutachtung des Films nicht richtig nachvollziehen.

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