Es ist ja auf âMann beisst Filmâ in der Regel nicht ĂŒblich, Kurzfilme zu rezensieren, weshalb ich im Vorfeld dieser Kritik anmerken möchte, dass âDie Legende von Sleepy Hollowâ ursprĂŒnglich nicht fĂŒr sich allein stehend, sondern zusammen mit dem Filmchen âDer Wind in den Weidenâ unter dem Titel âDie Abenteuer von Ichabod und TaddĂ€us Kröteâ im Jahr 1949 als Walt Disneys 11. abendfĂŒllender Zeichentrickfilm gezeigt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese so genannten âPackage Filmsâ (vgl. auch âDonald Duck - Drei Caballeros im Samba-Fieberâ [1942)]) bei Disney durchaus ĂŒblich, konnten sie doch kostengĂŒnstiger erstellt werden und garantierten zudem einen groĂen Publikumserfolg. âSleepy Hollowâ war Teil des letzten Package Films, denn bereits 1950 produzierte Disney mit âAschenputtelâ wieder einen abendfĂŒllenden Animationsfilm mit einer in sich geschlossenen ErzĂ€hlung.
Um âDie Legende von Sleepy Hollowâ voll Rechnung tragen und ihn als ein in sich geschlossenes Kunstwerk betrachten zu können, möchte ich den Kurzfilm voll und ganz ins Zentrum meiner Aufmerksamkeit stellen. Die Rezension ist ohnehin schon wieder lange genug gewordenâŠ
Gleich nach dem Main Title hören wir die Stimme Bing Crosbys, der den allwissenden ErzĂ€hler mimt und noch im Prolog andeutet, dass die Geschichte ein unheilschwangeres Ende nehmen wird. Diese Vorwegnahme des zukĂŒnftigen Geschehens will einem auch wĂ€hrend des nachfolge
nden Klamauks nicht mehr aus dem Hinterkopf gehen, sodass ein GefĂŒhl stĂ€ndiger Bedrohung der gesamten Story anhaftet. WĂ€hrend des Movies meldet sich der gute Crosby, mal singend-erzĂ€hlend (denn âSleepy Hollow hat mit seinen trĂ€llernden, schwungvollen Songs von Don Raye and Gene de Paul wie die meisten Trickfilme Musicalcharakter), mal sprechend, immer wieder zu Wort und kommentiert das Geschehen. Des Weiteren leiht er auch sĂ€mtlichen mĂ€nnlichen Figuren seine Stimme, wĂ€hrend die weiblichen Charaktere ohnehin nichts zu sagen haben, sondern lediglich singen, seufzen, kichern oder angesichts des schrĂ€gen Protagonisten, der eigentlich alles andere als attraktiv dargestellt ist, ironischerweise aus Verliebtheit hysterisch Kreischen dĂŒrfen.
Als der schrullige Schulmeister Ichabod Crane sich in der kleinen HollĂ€ndischen Siedlerkolonie Sleepy Hollow niederlĂ€sst, erobert er aufgrund seiner Geschicklichkeit und Raffinesse bald sĂ€mtliche Frauenherzen. Nur an einer Dame beiĂt er sich die ZĂ€hne aus: es ist die kokettierende, dralle (was fĂŒr MaĂe!!) Katrina Van Tassel, die ihm den Kopf um 180 Grad verdreht. Aber auch der stattliche, doch tölpelhafte Einfaltspinsel Brom Bones buhlt um die Aufmerksamkeit der blonden Jungfer mit dem groĂen Vorbau, und so kommt es zum Hahnenkampf zwischen den beiden ungleichen Kontrahenten. Katrina selbst ist alles andere als ein Unschuldslamm und weiĂ genau, wie sie MĂ€nnerherzen brechen, ihre Verehrer manipulieren und gegeneinander ausspielen kann, woran das schnippische MĂ€dchen ganz offensichtlich seinen SpaĂ hat. Diese Darstellung ist fĂŒr einen Disney Streifen jener Zeit sehr unĂŒblich, haftet Katrina doch etwas Ă€uĂerst Erotisches, Exhibitionistisches, manchmal beinahe schon Luderhaftes an, etwa wenn sie mit elegantem HĂŒftschwung flirtend auf Ichabod zugeht und sich dabei voll bewusst ist, dass Brom gerade eifersĂŒchtig die beiden beobachtet. Katrina ist eben kein braves, bescheidenes Heimchen am Herd, so wie das bei Schneewittchen und spĂ€ter bei Aschenputtel der Fall war, sondern sie ist sich ihrer AttraktivitĂ€t sowie ihrer Wirkung auf die MĂ€nnerwelt durchaus bewusst.
Das Drehbuch spielt hier mit den mĂ€nnlichen und weiblichen Rollenverhalten, dass es die reinste Freude ist, persifliert mit seinen Slapstickeinlagen und althergebrachten Cartooneinlagen die mĂ€nnlichen TestosteronschĂŒbe und ĂŒberhaupt das so genannte âmĂ€nnlicheâ Verhalten, wenn es darum geht, die Gunst des anderen Geschlechts zu erwerben. Damit verzichtet das Script auf die fĂŒr das Zeichentrickgenre ĂŒbliche Trennung der Charaktere in Gut und Böse, den sowohl Ichabod, als auch Brom sowie Katrina sind Ă€uĂerst facettenreich und differenziert gezeichnet. Lediglich die Schauergestalt, auf welche ich spĂ€ter noch zu sprechen komme, ist absolut bösartig.
ZunĂ€chst hat es denn Anschein, als mĂŒsse Brom leer ausgehen und Ichabod sei der begnadete GlĂŒckspilz. Doch bei einer ausgelassenen Feier im Hause Van Tassel sieht Brom seine Stunde gekommen. Da Ichabod eine sehr aberglĂ€ubische, leicht zu erschreckende Persönlichkeit ist, erzĂ€hlt Brom ihm die Legende vom kopflosen Reiter, der in den dunklen WĂ€ldern von Sleepy Hollow sein Unwesen treibe und den Kopf eines jeden, der des Nachts seine Ruhe stört, einfordere. Als die Geisterstunde ĂŒber die fröhliche Gesellschaft hereinbricht, macht Ichabod sich, aufgrund Broms GruselmĂ€rchen zu Tode verĂ€ngstigt, auf den Heimweg, wobei ihn der Pfad immer tiefer in die dĂŒsteren WĂ€lder fĂŒhrt.
Hier beweist Disney, wie schauerlich gut er gruselige, bedrohliche Stimmungen mit seinen Bildern aufzubauen vermag. Das ist ihm schon bei der Flucht Schneewittchens vor dem JĂ€gersmann oder der Darstellung des Dungeons der bösen Stiefmutter hervorragend gelungen, hier steigert er sich allerdings noch einmal. Die Schrecknisse des ihn verschlingenden Nachtwaldes drohen den Schulmeister in den Wahnsinn zu treiben: unheimlicher Gesang, das Knarren der Ăste, knorrige BĂ€ume, welche im Wind ihre krallengleichen Ăste nach dem Passierenden ausstrecken, vermeintliche Gespenster, Grillen, die Ichabods Namen rufen, Frösche, welche âHeadless Horsemanâ quaken und Eulen, die mit ihrem satanischen Ruf âBeware!â kreischen, lauern ĂŒberall, und nicht einmal der begnadete Tim Burton, der sich von Disneys Umsetzung ganz offensichtlich inspirieren lieĂ, wird diese GruselatmosphĂ€re 50 Jahre spĂ€ter toppen können.
SchlieĂlich bekommt auch der kopflose Reiter, den die Hölle wieder ausgespuckt hat (vgl. den Einsatz der roten Farbtöne wĂ€hrend der Sequenz), seinen groĂen Auftritt. Die Verfolgungsjagd gestaltet sich visuell brillant, dramaturgisch hingegen flacht der ErzĂ€hlfluss nun etwas ab, weil mit einer rasanten Geschwindigkeit und viel Action, vor allem aber dem zu schallend lachenden Unhold, der nunmehr wie die Karikatur eines Widersachers wirkt, die zuvor kunstvoll konstruierte AtmosphĂ€re gedrosselt wird. Ein wenig mehr Ernsthaftigkeit in der Inszenierung sowie der Verzicht auf einige Komikeinlagen hĂ€tten hier sicherlich nicht geschadet.
Den gröĂten Trumpf schĂŒttelt das Drehbuch jedoch dann gegen Ende des Films aus dem Ărmel, indem der lieb gewonnenen Antiheld, obwohl diesem die Flucht ĂŒber die alte ĂŒberdachte BrĂŒcke, welche den bösen Geist bannen sollte, gelungen ist, nicht ungeschoren davonkommt. Zwar lĂ€sst der ErzĂ€hler das tatsĂ€chliche Geschick Ichabods offen, doch zeigt er zumindest die wahrscheinliche Möglichkeit auf, dass das enthauptete Gespenst auf seinem Ross den armen PĂ€dagogen doch noch erhascht hat. Dies ist im Genre ein groĂer Ăberraschungseffekt, womit âDie Legende von Sleepy Hollowâ auch sicherlich kein geeigneter Film fĂŒr die ganz Kleinen, die mit diesem augenzwinkernden, morbiden Humor noch nicht umzugehen vermögen, ist. FĂŒr alle anderen stellt das innovative Filmchen eine kleine Perle dar, die weit aus der Reihe der Zeichentrickfilme und deren Klischees heraustanzt, denn gerade die kurze Spieldauer von 34 Minuten erlaubt es dieser Produktion von Walt Disney, andere, höchst kreative Wege einzuschlagen, ohne Irwings ErzĂ€hlung dabei kĂŒnstlich aufbauschen zu mĂŒssen.