âYou need to believe in things that aren't true. How else can they become?â
Kurz hinter dem, was wir gemeinhin als
RealitĂ€t bezeichnen, schwebt sie majestĂ€tisch durchs Multiversum, auf dem RĂŒcken der vier riesigen Elefanten Berilia, Tubul, GroĂ-TâPhon und Jerakeen thronend, welche wiederum von dem gigantischen Panzer der Riesenschildkröte GroĂ AâTuin getragen werden. Galileo Galileis Augen wĂŒrden garantiert ebensolche epischen AusmaĂe annehmen, wenn er sie zu seinen Lebzeiten erblickt hĂ€tte: die sagenumwobene, im Umfang dreiĂigtausend Meilen messende
Scheibenwelt.
Die Geschichten des mittlerweile zum Kultautor avancierten
Terry Pratchett bilden seit nunmehr schon 20 Jahren den Antrieb dieses Kosmos, der eigens als ironisch-originelles Kontrastprogramm zur bereits mehr als breitgewalzten Fantasy geschaffen wurde. Zumindest aus unserer Sicht. Aus flunderartiger Scheibenwelt-Sicht der mysteriösen Revisoren der Wirklichkeit, gesichtslosen Verkörperungen der Naturgesetze, ruht die Aufgabe, ein Universum â
das Universum â im Gleichgewicht zu halten, hingegen alleine auf ihren nicht vorhandenen Schultern. Um ihren lange gehegten schĂ€ndlichen Plan, die Kontrolle ĂŒber das Universum an sich reiĂen, in die Tat umzusetzen, greifen die Revisoren zu einem anfangs eher seltsam anmutenden Mittel: sie setzen â kurz vor dem Schneefest (engl.:
Hogswatch) â ein Kopfgeld auf den
Schneevater (
Hogfather) aus, der Jahr fĂŒr Jahr Geschenke zu den Kleinen bringt. Nur nicht dieses Jahr, wenn es nach den WirklichkeitshĂŒtern geht. Der Glauben an den âdicken Mannâ schwindet langsam, aber spĂŒrbar, als sich der geisteskranke Mörder
Teatime (Marc Warren) aufmacht, den Schneevater ein fĂŒr allemal zu beseitigen. Gerade Gevatter Tod, dem man dies gar nicht zugetraut hĂ€tte, nimmt sich ein (nicht vorhandenes) Herz und damit der Aufgabe an, den Schneevater zu vertreten. Mit rotem KostĂŒm, fliegenden Wildschweinen und ganz viel Ho-ho-ho. Zeitgleich heftet sich TODs Enkelin Susan (Michelle Dockery) auf eigene Faust an die imaginĂ€ren Fersen der geschenkebringenden und nun vermissten Sagengestalt, nicht ahnend, auf was sie sich da genau eingelassen hat.
Zwei Jahre, bevor er mit â
Terry Pratchetts The Color of Magicâ [2008] den ersten Scheibenwelt-Roman, mit dem alles seinen Anfang nahm, fĂŒr das Fernsehen aufbereiten sollte, widmete sich
Vadim Jean zunÀchst dem 20. Abenteuer aus der Feder Pratchetts:
Hogfather (dt.:
Schweinsgalopp). Sicherlich keine leichte Aufgabe, ist antreibender Motor all jener bizarren Geschichten doch erstrangig der ĂŒber die geistreiche ErzĂ€hlweise transportierte britische Humor, der maĂgeblich zum Erfolg des mittlerweile 36 BĂ€nde umfassenden Zyklus beitrug und bis heute immer noch beitrĂ€gt. Doch der Glaube Jeans an das Projekt, das letztlich sogar Pratchett selbst, der ansonsten Verfilmungen seiner Romane mehr als kritisch respektive wenig wohlwollend gegenĂŒberstand, ĂŒberzeugte, sollte sich bezahlt machen und gipfelte sogar in einem Kurzauftritt des Autors gegen Ende des Films. Und wahrlich: diese erste Realverfilmung aus dem Jahre 2006 kann sich rĂŒhmen, zu den besten TV-Adaptionen ihrer Art gezĂ€hlt zu werden. Wenn man bedenkt, mit welch begrenzten Mitteln hier eine eigene Welt geschaffen wurde, die das Auge des Betrachters mit bizarren, gleichwohl liebevollen Details erfreut und darĂŒber hinaus eine wirklich originelle, ja:
tiefgrĂŒndige Geschichte zu erzĂ€hlen weiĂ, muss man einfach applaudieren. Innerlich, wohlgemerkt, denn wir wollen die Nachbarn ja nicht stören.
In der Tat ist die Geschichte auf ihre Art einzigartig, verbindet sie doch altbekannte Fragmente (Sagengestalten, das an Weihnachten erinnernde Schneefest) mit einer gesunden Portion schwarzen Humors, der jedoch nie die Ăberhand gewinnt und sogar einigen philosophischen Fragen genĂŒgend Platz einrĂ€umt, um schlussendlich einer (fĂŒr Scheibenwelt-VerhĂ€ltnisse) plausiblen Lösung zugefĂŒhrt zu werden.
Was ist es, das uns menschlich macht? â Dass die Antwort hierauf unmittelbar mit dem Weihnachts- beziehungsweise Schneefest verknĂŒpft sein soll, mag auf den ersten Blick nicht so richtig einleuchten. Wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, dass wir uns dies noch nie wirklich gefragt haben. So liegt es einmal mehr an Terry Pratchett, dem Meister der intelligenten Fantasy, unser Nichtwissen zu beseitigen. Was als Geschichte eines mehrere hundert Seiten starken Buches wunderbar funktioniert, muss jedoch logischerweise als Grundlage einer TV-Adaption â einer Weihnachtsgans gleich â etwas an Federn lassen, um auf 180 Minuten komprimiert alles Wichtige zu einem runden Gesamtwerk reifen zu lassen. Dass der rote Faden hier einige Male eher lose durch die Gegend flattert, bevor er wieder aufgegriffen wird, ist verzeihlich fĂŒr eine liebevoll inszenierte Produktion diesen AusmaĂes, da schon die Buchvorlage die Farbe âRotâ nicht zu ihren Lieblingen zĂ€hlte und vergleichsweise episodenhaft vom verschneiten Treiben berichtete.
Alles in allem ist
âTERRY PRATCHETTS HOGFATHERâ â gerade zur nun nahenden Zeit der Besinnlichkeit â ein von tollen Schauspielern und netten Tricks getragener Weihnachtsfilm der etwas anderen Art, der uns, wie bei Pratchett ĂŒblich, ein wenig den Spiegel vorhĂ€lt, indem er zunĂ€chst den Weihnachtskonsum-Wahn ad absurdum fĂŒhrt, dabei aber die Werte, die wirklich zĂ€hlen, gleichermaĂen in den Vordergrund rĂŒckt. Vorbei an quiekenden, urinierenden Wildschweinen, die einen Schlitten ziehen, in dem ein dauergrinsendes Gerippe im mit Kissen ausstaffierten WeihnachtsmannkostĂŒm sitzt. Denn der Glaube an etwas Derartiges ist mĂ€chtiger als es erscheinen mag. â
Humans need fantasy to be
humanâ, lehrt der Sensenmann am Ende seine Enkelin und damit auch uns. Es sind schlicht und ergreifend die kleinen LĂŒgen des Lebens, die es uns ermöglichen, an die groĂen wie Gerechtigkeit und Vergebung zu glauben. Alleine diese Aussage macht einige unvermeidbare LĂ€ngen in diesem 180-Minuten-Film fast vergessen, entlĂ€sst sie uns doch mit einem seltsamen GefĂŒhl der inneren Zufriedenheit zurĂŒck in unsere Welt. Eine Welt, die sich bei genauerer Betrachtung gar nicht sonderlich von der der Scheibenwelt unterscheidet.
SpĂ€testens jetzt kann es kommen, das Weihnachtsfest, und eine Zeit einlĂ€uten, in der zumindest die ganz Kleinen mit strahlenden Kulleraugen den Besuch eines ganz bestimmten Mannes in roter KostĂŒmierung im heimischen, festlich geschmĂŒckten Wohnzimmer kaum noch erwarten können. Vielleicht ist es uns, den jung gebliebenen Erwachsenen, dieses Jahr auch endlich einmal wieder vergönnt, diesem herzerwĂ€rmenden Geschehen bei drauĂen leicht anhaltendem Schneefall beizuwohnen. Glauben und Ho-Ho-Hoffen soll ja wahre Wunder vollbringen können.