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von Phil Rosen




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Her

Her

Ein Film von Spike Jonze


AUF DER SUCHE NACH EINEM ERFÜLLTEN LEBEN


Es klingt wie ein bewusst formulierter Spaß, doch Fakt ist: Wer aktuell mit der Zeit geht, dem läuft ironischerweise irgendwann die Zeit davon. In einer hochtechnisierten Welt wie der unseren, in der jeder zu jedem Zeitpunkt per Handy, Smartphone, Tablet oder sonst wie erreichbar, flexibel und modern sein möchte, ist die Zeit als messbare Einheit mittlerweile etwas, das immer mehr fehlt. Denn was damals, als die heutigen Wunderwerke der Technik noch ganz frisch auf dem Markt waren, von den Verantwortlichen gewiss nicht einkalkuliert wurde, ist, dass die hochmoderne Technik, die uns eigentlich Zeit schenken sollte, ihrerseits (und kontinuierlich) immer mehr Zeit für sich beanspruchen werden würde. Mit verheerenden Folgen. Ein flüchtiger Blick in die Mails hier, ein kurzer Chat dort – Die Gesellschaft ist längst schon an dem Punkt angelangt, wo die Technik für Viele alles und das sonst übliche Miteinander, so wie es einst noch zum guten Ton der Kommunikation gehörte, immer weniger zu bedeuten scheint. Wenn das Handy klingelt, ist für manch einen unter uns das Annehmen des Anrufs gar die einzig mögliche Option. Ganz egal, ob die Traumfrau nun gerade vor einem sitzt und darauf wartet, ihre sehnsüchtigen Blicke charmant erwidert zu bekommen.


Nun stellt sich natürlich völlig zu Recht die Frage: Entfernt sich die Gesellschaft tatsächlich immer weiter von dem, was Lebe
n eigentlich ausmacht, es früher noch so lebenswert ausgestaltet hat? Haben wir uns von Angesicht zu Angesicht wirklich nichts Wichtiges mehr zu sagen, sodass wir uns stattdessen lieber in Chatrooms und -apps flüchten, um angeregt zu kommunizieren? Ist diese selbstgewählte Einsamkeit echt der Wahrheit letzter Schluss? Der Autor dieser Rezension weiß (noch) keine endgültige Antwort darauf und hofft doch inständig, dass seine persönlichen Erfahrungen, die er in den vergangenen Jahren machen musste, nur Momentaufnahmen darstellen, die bald schon wieder in den herkömmlichen Trott des Lebens zurückfinden. Bis dahin bleibt es vorerst jedem selbst überlassen, sich eigene Gedanken zu dem Thema zu machen, ganz gleich, ob diese nun positiv oder negativ ausfallen mögen.


Was Mut spendet: Auch ein kreativ-exzentrischer Kopf wie Spike Jonze („Adaption“ [2002]) macht sich augenscheinlich mal Gedanken zur fortschreitenden Technisierung und deren Auswirkung auf die Menschen innerhalb der Gesellschaft. Anders als wir verpackt er seine Meinung aber in einem zweistündigen Film, der die Massen erreichen und ihnen mit satirischer Raffinesse und den manipulativen Mitteln des Films den Spiegel vorhalten soll. Und das ist genau genommen ein überaus genialer Schachzug. Denn derjenige, der hier über das Dargebotene lacht, lacht auch immer ein Stückchen weit über sich selbst, ohne es zunächst zu bemerken. Und verstaut im Anschluss das hoffentlich lautlos gestellte Smartphone, auf dem kurz vor Filmbeginn erstmal gecheckt wurde, welchen Film man sich eigentlich gleich ansehen wird, peinlich berührt noch ein wenig tiefer in der Jackentasche.

HerHerHer

In einer nicht allzu fernen Zukunft begleiten wir Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), der sich seinen Lebensunterhalt mit dem Verfassen persönlicher Briefe verdient. Er ist derjenige, der unbekannten Menschen, die das Briefeschreiben längst verlernt haben, die Arbeit abnimmt, was schon so manchem zum privaten Glück verholfen hat. Ironie des Schicksals: Theodore selbst hinkt der Aussicht auf privates Glück nach der Scheidung von seiner Frau Catherine (Rooney Mara) meilenweit hinterher. Bis zu dem Tag, an dem er die Werbung für ein neues Betriebssystem wahrnimmt, das mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet ist. Kurzerhand erwirbt Theodore das OS, nimmt zu Hause die nötigen Einstellungen vor und gibt dem System, das ihn fortan den ganzen Tag begleiten soll, Stimme und Namen. Samantha (Stimme: Scarlett Johansson) ist geboren, die ihm nun nicht nur die Mails ordnet und ablegt, sondern auch mit dem ein oder anderen Rat zur Seite steht. Schnell merkt Theodore, dass er in Samantha endlich die Gesprächspartnerin gefunden hat, nach der er sein Leben lang gesucht hat, und verliert sich in immer ausschweifenderen Diskussionen über das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Mit ungeahnten Folgen. Denn ohne es wirklich beeinflussen zu können, verliebt sich Theodore in sein Betriebssystem, was das ungewöhnliche Paar schon bald vor einige Hürden stellt...

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„HER“ ist, um gleich in der Terminologie des Films zu bleiben, in gewisser Weise die nur logische Weiterentwicklung von Sofia Coppolas Meisterwerk „Lost in Translation“ [2003], in dem damals zwei durch Bill Murray und (welch Zufall!) Scarlett Johansson verkörperte Individuen durch das Leben voneinander getrennt waren. Hier ist es nun eben die dem vielseitigen Leben erwachsene Liebe, die jeder insgeheim für sich begehrt. In modernen Zeiten, die mangels ausgeprägter Kommunikation zwischen den Menschen nur wenig Liebe zulassen respektive ihre Ausprägung gehörig erschweren. So präsentiert uns Jonze eine gleichermaßen moderne wie auch altmodische Welt, in der die Menschen das einfache Miteinander langsam aber sicher verlernt haben und sich entsprechend behelfen müssen. Darauf aufbauend, zeichnet der Autorenfilmer in seinem hervorragenden, pointierten Drehbuch im Folgenden das bis ins kleinste Detail durchdachte Porträt einer Gesellschaft, in der jeder trotz widrigster Umstände glücklich sein möchte und dafür sogar bereit ist, zunächst einmal ungewöhnliche Wege zu gehen. Wer könnte diesen Schritt auch verübeln?


Unmissverständlich appelliert der Film von Beginn an an unser aller Verständnis von der heutigen Gesellschaft und schafft es dabei spielend, diese mit satirischer Raffinesse und einer gehörigen Portion Emotionalität nach- und überzuzeichnen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass die Zukunft kleidungstechnisch eher wieder in den 1970er-Jahren landen würde? Keiner? Nun, wenn es nach dem gewohnt spitzbübischen Jonze geht, ist dies lediglich eine der (traurigen) Wahrheiten, die uns irgendwann noch bevorsteht. Als weitaus gravierender erweist sich neben dem Kleidungsstil allerdings der folgende Aspekt: Wo bleibt der Mensch in diesem von Menschenhand geschaffenen Drama, das sich zukünftiges Leben schimpft? Hat er sich dem modernen Fortschritt dahingehend unterzuordnen, dass er schlichtweg keine Wahl hat, als die Neuerungen, die täglich auf ihn einprasseln, zu akzeptieren, um ein halbwegs normales Leben führen zu können? Und was ist dies eigentlich: ein halbwegs normales Leben? Kann es darauf überhaupt eine Antwort geben?


Dass hier mehr Fragen als Antworten zu lesen sind, ist aus gutem Grund so. Denn Spike Jonze kaut uns in seinem „HER“ nicht etwa alles einfach nur vor, sondern lässt vielmehr dem jeweiligen Zuschauer die Wahl, das Gesehene zu reflektieren, zu analysieren und gegebenenfalls zu akzeptieren. Und hier liegt, wenn man so will, der maßgebliche Unterschied zu Theodore, der menschlichen Titelfigur: Dieser hat genau genommen eben keine Wahl, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sondern wird stattdessen durch die äußeren Einflüsse regelrecht zu dem besonderen Schritt getrieben, der sein Leben für immer verändern soll. Fortschritt für ein glückliches Leben, zumindest dem ersten Anschein nach. In diesem vergisst man (und Theodore) auch zunächst, dass Technik selbst dann noch Technik bleibt, wenn sie allein durch die lasziv-betörende Stimme von Scarlett Johansson („Er steht einfach nicht auf Dich“ [2007]) zum Leben erweckt wird. Denn Samantha wandelt sich von Bits und Bytes immer mehr in ein vielschichtig-interessantes Individuum mit eigenem Kopf, eigenen Gedanken und Vorstellungen, dass es teils kaum zu glauben ist, dass sie in Wirklichkeit keine menschliche Hülle hat: Sie ist dennoch greifbar.

HerHerHer

Das merkt auch der von Joaquin Phoenix („Walk the Line“ [2005]) kongenial verkörperte Liebesbrief-Schreiber Theodore schließlich, der einen an sich absolut abstrusen Gedanken kurzerhand in die Tat umsetzt, indem er eine Beziehung mit seinem Betriebssystem eingeht. Diesbezüglich ist es wahrscheinlich mehr als bezeichnend, dass der Zuschauer den Beiden nach relativ kurzer Zeit wünscht, sie mögen auf ewig glücklich werden – die eigentliche Abstrusität wird augenblicklich zur filmisch transportierten Realität, in der einen mit einem Mal nichts mehr wundert. Warum? Weil Jonze uns mit seiner Geschichte am Haken hat. So einfach ist das. Das oscar-gekrönte Drehbuch ist eine wahre Meisterleistung in Sachen Figurenzeichnung, die selbst einem Betriebssystem Tiefe und Emotionen einzuverleiben in der Lage ist. Die eigentlich krude Geschichte berührt so zusehends, ohne aufdringlich oder gar kitschig zu sein; sie ist trotz lustiger Momente eine überraschend tiefgründige Reflektion über die Gegenwart, die Zukunft und den ganzen Rest, ohne allzu moralisierend daherzukommen; und sie ist in ihrer konsequenten Weiterentwicklung derart ehrlich, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als neben dem imaginären Hut auch noch die verdiente Höchstwertung zu ziehen. Dieses kleine Meisterstück ist ein Film, der im Grunde auch „US“ heißen könnte. Denn wenn wir ehrlich sind, steckt das, was Theodore antreibt, in unser aller Herzen: die Suche nach einem glücklichen wie auch erfüllten Leben.


Fazit: Spike Jonzes aktuelles Meisterwerk „HER“, das die Genres Satire, Sci-Fi-Romanze und Drama formvollendet vereinheitlicht, ist ein wahrer Triumph: klug, witzig und trotz der skurrilen, nichtsdestotrotz erschreckend aktuellen Thematik jederzeit herzerwärmend. So originell kann Kino heutzutage noch sein!


Cover & Szenenbilder: ©2013 UNTITLED RICK HOWARD COMPANY LLC & Courtesy of Warner Bros. Pictures


Eine Rezension von Stefan Rackow
(22. Mai 2014)
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Daten zum Film
Her USA 2013
Regie Spike Jonze Drehbuch Spike Jonze
Produktion Annapurna Pictures Kamera Hoyte Van Hoytema
Darsteller Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams, Chris Pratt, Rooney Mara, Olivia Wilde, Matt Letscher, Portia Doubleday
Länge 126 Minuten FSK ab 12 Jahren
www.Her-DerFilm.de
Filmmusik Arcade Fire
Preise und Auszeichnungen Oscar für das beste Original-Drehbuch
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