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Doctor Strange

Doctor Strange

Ein Film von Scott Derrickson


THERE IS SOMETHING STRANGE IN THE MARVEL-HOOD


Das Marvel Cinematic Universe (kurz: MCU) war ja schon länger für die ein oder andere Überraschung gut. Selbst die abstruseste Ausgangssituation (zuletzt etwa der minimalistisch-bombastische „Ant-Man“ [2015]) geriet da noch zu einem unterhaltsamen Blockbuster, ohne jedoch leise Ironie und erfrischenden Humor dabei unter den Tisch zu kehren. Und seit „Guardians of the Galaxy“ [2014], den viele gar als den besten aller bisherigen Marvel-Filme ansehen, wissen wir nun auch, dass der Stoff, aus dem Comicverfilmungen sind, gar nicht fantastisch genug sein kann. Somit dürfte uns beim latent bewusstseinserweiternden und die filmische Realität verbiegenden „DOCTOR STRANGE“, dem nunmehr 14. MCU-Beitrag, eigentlich erst einmal so rein gar nichts wundern.


Verwundert ist allenfalls der von Benedict Cumberbatch verkörperte Exzentriker Dr. Stephen Strange, seines Zeichens ein erfolgreicher Neurochirurg. Denn als dieser nach einem folgenschweren Autounfall die Feinmotorik seiner Hände einbüßt, begibt er sich kurzerhand nach Tibet, um die sagenumwobene Wunderheilerin The Ancient One (Tilda Swinton) aufzusuchen, die ihm jedoch vor allem Geschichten von Multiversen und der Kraft der eigenen Gedanken erzäh
lt. Zu viel für den Fakten liebenden Strange, der sich mit diesem Humbug nicht abgeben will - bis er erkennt, dass in ihm deutlich mehr Fähigkeiten schlummern, als er womöglich jemals hätte erahnen können...


Origin-Stories, die bekanntermaßen das erstmalige Reifen zum Helden behandeln, sind in Zeiten von Heldenkloppereien wie „The First Avenger: Civil War“ oder „Batman v Superman: Dawn of Justice“ [beide 2016] gewiss immer eine Art von Abwechslung (solange es sich nicht wieder um die erneut aufgewärmte Spider-Man-Entstehungsgeschichte handelt). Doch auch diese Stories laufen langsam, aber sicher Gefahr, sich selbst gewissermaßen zu kannibalisieren. So geriet selbst der so kauzig-humorvolle wie großartig-minimalistische „Ant-Man“ [2015] unlängst in die Bredouille, sich gegen ungleich größere Kollegen behaupten zu müssen, und konnte immerhin noch ein letztliches Einspiel von 519 Millionen US-Dollar generieren (Civil War spielte mal eben das Doppelte ein!). Wahrlich kein veritabler Flopp, wenngleich die sonst so erfolgsverwöhnten Marvel Studios sich womöglich etwas an den 263 Millionen US-Dollar-„Misserfolg“ „Der unglaubliche Hulk“ [2008] erinnert gefühlt haben dürften.


Vielleicht ist Marvels wildes Fantasy-Abenteuer „DOCTOR STRANGE“ ja nun die dringend nötige Kehrtwende, um die ersten auftretenden Ermüdungserscheinungen des einst so famos gestarteten Superhelden-Genres, welches es zuletzt mit der Leinwandpräsenz seiner Helden womöglich etwas zu gut meinte (alleine 2017 sollen im Abstand weniger Monate drei (!) neue Marvel-Abenteuer ins Kino gelangen), gekonnt zu umschiffen. Fakt ist: derart hirnverdrehend-skurril geriet bisher noch keine Marvel-Verfilmung. Und das ist noch längst nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal dieses ins Kino übertragenen, visuellen Drogenrauschs, in dem komplette Großstädte wie Kartenhäuser zusammengeklappt, gleichzeitig gespiegelt und elegant auseinandergerissen werden. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, sollte sich wahrlich auf den nachhaltigsten 3D-Trip in diesem Jahr einstellen, in dem kein (virtueller) Stein auf dem anderen bleibt. Da verzeiht man selbst einige Parallelen zum MCU-Startpunkt „Iron Man“ [2008], denn Egomanen wie Tony Stark gibt es nun einmal zuhauf auf dieser verrückten Welt: die einen tragen eine Hightech-Rüstung, die anderen einen schicken Umhang mit Eigenleben. Manche Dinge ändern sich eben einfach nie.


Und so spult Marvels Kreativschmiede um MCU-Kreateur Kevin Feige zum mittlerweile 14. Mal die erprobte Erfolgsformel aus humorvoll-augenzwinkernden Einlagen, charismatischen Schauspielern und satten Effekte-Spielereien ab, und ob man es glauben mag oder nicht: das vertraute Konzept geht wieder auf. Sicherlich ist auch dieser Marvel-Blockbuster von der Tiefgründigkeit eines „The Dark Knight“ [2008] ungefähr so weit entfernt wie Playboy Tony Stark von einem Leben als Familienmensch. Somit sollte niemand davon ausgehen, philosophische Abhandlungen über die Grenzen von Zeit und Raum und der menschlichen Vorstellungskraft in diesem Film kredenzt zu bekommen. Das, was angeschnitten wird, wird vielmehr zu einem visuell beeindruckenden Bilderrausch verarbeitet, angesichts dessen Reizüberflutung wahrscheinlich nicht nur die Visual Effects-Magier um Industrial Light & Magic leichte Kopfschmerzen davongetragen haben dürften. Denn wenn hier die Welt Kopf steht, ist auch der Zuschauer dank Ben Davis` frei beweglicher Kamera und einer eventuellen Sichtung in 3D live dabei, was das Zeit und Raum sprengende Fantasy-Spektakel umso intensiver gestaltet. Dies nur als Warnung.


Dass in dieser mit 165 Millionen US-Dollar ausgestatteten, sündhaft teuren Effekteschau die Charaktere nicht zur bloßen Staffage verkommen und inmitten von umklappenden Großstädten, heraufbeschwörten Zeitzaubern und Magier-Duellen unterzugehen drohen, ist da keinesfalls selbstverständlich. Doch alleine der charismatische Titelstar Cumberbatch und seine Mentorin Tilda Swinton bieten schon so viel eigene Starpower auf, dass selbst große Namen wie Chiwetel Ejiofor oder Bösewicht Mads Mikkelsen plötzlich „nur“ noch wie eine nette Dreingabe wirken. Gerade Letzterer liefert trotz durchweg überzeugender Leistung einen eher blassen Bösewicht ab, dessen Motivation für seine Taten genauso schnell vergessen ist, wie unsereins Hokuspokus sagen kann. Gott sei Dank kann der bildgewaltigen Trickserei aber auch noch mit einem zugekniffenen Auge gefolgt werden, die 3D-Fassung freilich einmal außen vorgelassen. Und die obligatorischen Mid- respektive After-Credit-Szenen heizen schon einmal die Vorfreude auf einen neuen, starken Bösewicht in der so gut wie sicheren Fortsetzung an. Bis es soweit ist, muss Stranges Umhang aber bestimmt noch etliche Male in die chemische Reinigung. Wenn er denn will...


Wer sich also immer schonmal gefragt hat, wie das Öffnen von Portalen den Bibliothek-Alltag erleichtern kann, was Sängerin Beyoncé damit zu tun hat, und wie genau sich diese neue, magische Welt in den bisher eher irdischen MCU-Kanon einordnet, findet seine Antworten nun im Kino vor: serviert als teure Trickserei, bei der auch ein David Copperfield aus dem Staunen nicht herauskommen dürfte. Und siehe: Das heutige Kino kann also doch noch verzaubern, wenn es unverkrampft selbst so eine verrückt anmutende Geschichte wie die vorliegende einem Taschenspielertrick gleich aus dem Ärmel der Kreativität schüttelt, als wäre es das Normalste auf der Welt. Die Sinne werden betäubt, und am Ende des Tages steht ein überaus breites, evoziertes Grinsen. Must be magic.


Fazit: Großartig-wilde Reise, die als eine Art „Inception“10 das MCU gehörig auf den Kopf stellt. Spaßig, actionreich und trickreich-pfiffig umgesetzt.


Das bisherige MCU, bei uns ausführlich rezensiert:

Iron Man“ [2008], „Der unglaubliche Hulk“ [2008], „Iron Man 2“ [2010], „Thor“ [2011], „Captain America: The First Avenger“ [2011], „The Avengers“ [2012], „Iron Man 3“ [2013], „Thor – The Dark Kingdom“ [2013], „Captain America 2: The Return of the First Avenger“ [2014], „Guardians of the Galaxy“ [2014], „Avengers: Age of Ultron“ [2015], „Ant-Man“ [2015], „The First Avenger: Civil War“ [2016]


Cover: © Marvel 2016



Eine Rezension von Stefan Rackow
(13. November 2016)
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Daten zum Film
Doctor Strange USA 2016
Regie Scott Derrickson Drehbuch Jon Spaihts, Scott Derrickson, C. Robert Cargill
Produktion Marvel Studios Kamera Ben Davis
Darsteller Benedict Cumberbatch, Mads Mikkelsen, Chiwetel Ejiofor, Tilda Swinton, Rachel McAdams, Benedict Wong, Benjamin Bratt, Michael Stuhlbarg, Scott Adkins, Zara Phythian, Alaa Safi, u.a.
Länge 115 Minuten FSK ab 12 Jahren
https://www.facebook.com/DoctorStrangeOfficial/
Filmmusik Michael Giacchino
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