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Night On Earth

Night On Earth

Ein Film von Jim Jarmusch

Jim Jarmusch ist ein überzeugter Minimalist, der es sich in einer sicheren Nische des Independent- Kinos gemütlich gemacht hat und für den die üblichen formelhaften Hollywood- Plots keine Rolle spielen. Wer einmal einen Film des gebürtig aus Ohio stammenden Regisseurs, bekanntermaßen ein Exzentriker vor dem Herrn, gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist. Dabei analysiert Jarmusch in seinen Werken stets die sozialen und kulturellen Befindlichkeiten von Menschen aus dem alltäglichen Leben, die uns unmittelbar nahe zu stehen scheinen. Durch das gesamte Œuvre des Filmemachers zieht sich dieses meist durch das Spiel mit Klischees unterstützte Präzisieren von Zustandsbeschreibungen, so wie im Falle seines 1991 gedrehten, großartigen Episoden- Dramas “Night On Earth”, das ein gutes Dutzend Personen- verteilt über die ganze Welt- zum Thema hat, die des Nachts eine Taxifahrt unternehmen. Fünf Geschichten aus fünf Städten und vier verschiedenen Zeitzonen, die allesamt jeweils sieben Minuten nach Anbruch einer vollen Stunde beginnen. Im Folgenden wird der Inhalt der einzelnen Storys kurz wiedergegeben…

Los Angeles, 19:07 Uhr

Eine viel beschäftigte Casting- Agentin (Gena Rowlands) ist auf dem Weg vom Flughafen- Terminal in die Stadt. Unterwegs nimmt sie ein Taxi, dessen jugendliche Fahrerin Corky (Winona Ryder) ihr sofort als mögliche Aktrice für ihren neuen Film ins Auge springt. Als sie die junge Frau fragt, wie sie sich ihre Zukunft
vorstelle, entgegnet diese ihr, sie wolle Mechanikerin werden. Also schlägt sie auch das darauf folgende Angebot der Agentin ab, als Schauspielerin für sie zu arbeiten. Die Dame ist enttäuscht.

New York, 22:07 Uhr

Der dunkelhäutige Yoyo (Giancarlo Esposito) möchte zur späten Stunde nach Brooklyn. Der Fahrer des Taxis, in das er einsteigt, ein Ostdeutscher mit Namen Helmut (Armin Mueller- Stahl), scheint allerdings nicht wirklich etwas von seinem Dienstauto zu verstehen und überlässt schließlich dem Fahrgast selbst das Steuer. Im Laufe der Fahrt stellt sich heraus, dass Helmut als Clown gearbeitet hat, worüber Yoyo sich lustig macht. Später kommt der Konversation der beiden jedoch noch eine Familienangelegenheit Yoyos dazwischen.

Paris, 4:07 Uhr

Zwei beschwipste Männer sitzen bei einem Schwarzen (Isaach De Bankolé) im Taxi. Nach leichten Querelen setzt der Fahrer, ein Einwanderer von der Elfenbeinküste, die beiden allerdings vor die Tür und nimmt stattdessen eine Blinde (Béatrice Dalle) mit, die sich als äußerst selbstbewusst entpuppt und dem Fahrer, der sie über die Umstände ihrer Erblindung ausfragt, forsche Antworten gibt. Auf Geheiß des Mannes errät sie sogar dessen Herkunft, worauf dieser äußerst verwundert reagiert.

Rom, 4:07 Uhr

Obwohl er meint, dass so etwas Unglück bringt, nimmt ein Vollblutitaliener (Roberto Benigni) am frühen Morgen einen Priester (Paolo Bonacelli) in seinem Taxi mit. Nach kurzer Zeit entschließt sich der Fahrer, seinem Gast seine “Liebessünden” zu beichten, was dieser zwar zunächst ablehnt, dann aber doch ein offenes Ohr für den Geständigen hat. Allerdings war sich der werte Prälat im Vorfeld nicht über den schockierenden Inhalt der Beichte bewusst und so erleidet er einen tödlichen Herzanfall.

Helsinki, 5:07 Uhr

In der letzten Geschichte nimmt ein finnischer Taxifahrer (Matti Pellonpää) drei offenbar betrunkene Männer (Kari Väänänen, Sakari Kuosmanen, Tomi Salmela) mit, von denen einer das Bewusstsein verloren hat. Im Auto erzählen die beiden, die noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, ihr Kumpel habe heute den schwärzesten Tag seines Lebens gehabt. Sie berichten dem Fahrer von dessen verlorenem Job und der schwierigen Beziehung ihres Freundes zu seiner Frau. Daraufhin schüttet auch der Fahrer selbst sein Herz aus. Seine Gäste sind erschüttert von seiner Geschichte.

Regie, Produktion und Drehbuch gingen diesmal auf die Kappe von Jim Jarmusch, dessen Figurenrepertoire wie üblich aus allerlei illustren Persönlichkeiten besteht, die einem auf seltsame Art vertraut vorkommen. Da ist beispielsweise die kindliche- und dennoch altkluge- Corky, die Schlabberlook trägt und wie ein Schlot raucht, die eigentlich Mechanikerin werden möchte und dafür sogar ein Angebot zum Filmstar ablehnt. Winona Ryder wächst in dieser Rolle über sich hinaus und zeigt eine der stärksten und einprägsamsten Leistungen ihrer Karriere. Oder Armin Mueller- Stahls Flöte spielender Clown, der stop- and- go fährt und über dessen (deutschen) Namen sich sein New Yorker Fahrgast, der einen Big Apple- Ghettoslang spricht, prächtig amüsiert. Der Name des Clowns ist Helmut, was im Englischen wie “helmet” klingt und übersetzt Helm bedeutet. Es handelt sich hier um eine der typischen Jarmusch` schen Wortspielereien- man denke nur an sein jüngstes Werk “Broken Flowers”, dessen Titelfigur Don Johnston, dargestellt vom genialen Bill Murray, sich nur durch einen Buchstaben in seinem Namen vom eigentlichen Don Johnson unterscheidet. Yoyo sagt in “Night On Earth” zu Helmut: “Helmet? Why your name`s not `Lampshade´?” Lampshade heißt auf deutsch Lampenschirm. Am Ende der Fahrt verabschiedet Helmut Yoyo, ganz den Anforderungen seines Jobs nachkommend (er ist schließlich Clown), mit den Worten: “Goodbye, Mr. Lampshade!”

Zu den Merkmalen eines Jim Jarmusch gehört das nüchterne, realitätsnahe und dennoch nicht selten skurrile Herausstellen von kulturellen Eigenarten und Lebenseinstellungen. Roberto Benigni hat sichtlich Spaß als heißblütiger, redseliger italienischer Lebemann, der mit seiner grandios verschrobenen Beichte, in der er sexuelle Erfahrungen zuerst mit Kürbissen und dann mit Schafen offen legt, bevor er ausführlich und ausschweifend von den Vorzügen seiner Schwägerin schwärmt, den Priester dermaßen verstört, dass dieser einen Infarkt bekommt. Als Benigni den offenbar leblosen Körper des Gottesmannes beseitigen will, nachdem jegliche Reanimierungsversuche gescheitert sind, stöhnt er: “Mamma mia, er ist nur ein Priester, aber er wiegt soviel wie ein Kardinal…!” Benigni arbeitete bereits in “Down By Law” mit Jarmusch zusammen, während einige andere neu auf der Besetzungsliste sind. So zum Beispiel Béatrice Dalle, die Mitte der 80er mit “Betty Blue” berühmt wurde, wo sie ihr legendäres Image als Erotikfilm- Ikone erwarb. Dalle gibt eine im wahrsten Sinne des Wortes blinde Passagierin, die trotz ihrer angeborenen Krankheit glaubt, ihre Welt fühlen zu können und tatsächlich mehr wahrnimmt, als ihrer Umgebung manchmal lieb ist. Die skandinavische Episode setzt sich derweil aus unbekannten Mimen aus dem hohen Norden zusammen.

Der wunderbare Soundtrack entstammt der Feder des populären Chansoneurs Tom Waits, dessen unverkennbare Röhre wie das vielzitierte Messer durch die Butter gleitet und der auf jeden Fall einen besonderen Akzent im Film setzt. Der rein instrumentale Teil besteht aus entspanntem Jazz- Lounge- Sound, der die nächtliche Ruhe atmosphärisch auf den Punkt bringt. Frederick Elmes, der für die Kameraarbeit zuständig ist, fängt die unvergleichliche Stimmung der fünf Metropolen vortrefflich ein. Die Fotografie von Elmes deckt sich weitestgehend mit dem langsamen, zeitweise fast schon stillstehenden Erzählstil Jarmuschs, welcher die nacheinander ablaufenden Episoden zur selben Zeit stattfinden lässt, getrennt nur durch die verschiedenen Zeitzonen, bedingt dadurch, dass sich die Handlung über mehrere Erdteile und -regionen erstreckt. “Night On Earth” läuft im Übrigen in der Original- Tonspur, deren diverse Sprachen und Dialekte durchgängig deutsch untertitelt werden. Das hat einerseits einen gesteigerten Grad an Authentizität zur Folge und schafft andererseits auch erst den Spielraum für einige sprach- und kulturbezogene Pointen, die in der Synchronisation nicht funktioniert hätten und im Ansatz verpufft wären.

“Night On Earth” ist eine besonders wertvolle Indie- Perle, die sich unschwer in das Gesamtwerk Jim Jarmuschs einordnen lässt. Die Geschichten des Films handeln von Einzelschicksalen mit unterschiedlichen Hintergründen und Motiven, die in ihrer Tonart von schwarzhumorig und makaber über beschwingt- komisch bis hin zu tragisch und bitter pendeln. Jarmusch dreht sich wie so häufig in seinen Filmen im Kreis und bietet seinem Publikum keinen sichtbaren, konventionellen dramaturgischen Bogen. Es geht ihm um die Darstellung von sozialer Interaktion, wie sie auf einem bestimmten Raum zwischen einander fremden Seelen stattfindet- dazu natürlich immer im kulturellen Kontext gesehen. Ein anspruchsvoller Film, der den Zuschauer in nicht geringem Maße herausfordert, ihn aber auch auf so vielen Ebenen gleichzeitig anspricht, dass es eine wahre Freude ist, in das Universum dieses Jim Jarmusch einzutauchen…

Eine Rezension von Christopher Michels
(19. Februar 2009)
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Daten zum Film
Night On Earth USA 1991
(Night On Earth)
Regie Jim Jarmusch Drehbuch Jim Jarmusch
Produktion Arthaus Kamera Frederick Elmes
Darsteller Winona Ryder, Armin Mueller-Stahl, Béatrice Dalle, Roberto Benigni
Länge 123 Minuten FSK ab 16
Filmmusik Tom Waits
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